In einer neuen Studie hat die US-Gesundheitsbehörde CDC den Zusammenhang zwischen Diabetes und Corona bei Kindern untersucht. Und zwar, ob junge Menschen unter 18 Jahren nach einer überstandenen Infektion als Folge davon an Diabetes erkranken. Die Daten scheinen zunächst in der Tat dieses Phänomen zu bestätigen. Allerdings gibt es Kritik an den Ergebnissen, berichtet der «Spiegel».
Was wurde in der Studie angeschaut?
Die Experten haben mit Daten aus zwei Gesundheitsbanken gearbeitet – im ersten Fall handelt es sich um Personen, die sich zwischen März 2020 und Februar 2021 und im zweiten Fall um Personen, die sich zwischen März 2020 und Juni 2021 infiziert hatten. Allesamt also noch vor der Omikron-Welle.
Insgesamt wurden über 500'000 Daten von Jugendlichen unter 18 Jahren ausgewertet. Mit dem Ziel zu sehen, inwiefern ein Risiko einer erstmaligen Diabetesdiagnose mindestens einen Monat nach der Ansteckung mit Covid besteht.
Verglichen wurde die Zahl derjenigen, die nach Corona an Diabetes erkrankten, mit der Zahl der Kinder, bei denen ohne eine nachgewiesene Corona-Infektion Diabetes festgestellt wurde. Eine dritte Kontrollgruppe bestand aus Probanden, die vor der Pandemie an anderen Atemwegsinfektionen erkrankt waren.
Was war das Ergebnis?
Den Untersuchungen zufolge war die Diabetesinzidenz bei den Corona-Kindern höher als bei denjenigen, die sich nicht angesteckt hatten. Den Informationen der ersten Datenbank zufolge war das Risiko um ganze 166 Prozent erhöht. Auch im Vergleich zur Kontrollgruppe lag der Wert immer noch bei 116 Prozent. In der Gruppe aus der zweiten Datenbank war das Risiko, an Diabetes zu erkranken aber «nur» noch 31 Prozent höher. Warum die Werte derart unterschiedlich sind, lässt sich allerdings nicht abschliessend sagen. Im Text der Studie wird darauf hingewiesen, dass die Personen aus der zweiten Gruppe insgesamt schwerer krank seien, weshalb der Unterschied womöglich geringer ausfalle.
In ihrer Studie räumen die Autoren selber ein, dass die Ergebnisse «mindestens vier Einschränkungen» unterliegen würden. Erstens würde nur allgemein von Diabetes gesprochen und nicht die verschiedenen Typen und Formen angeschaut werden. Zweitens sei es denkbar, dass nicht bei allen Kindern Corona nachgewiesen wurde und sie deshalb in der falschen Gruppe landeten. Drittens fehlen Angaben zu den Faktoren, die den Zusammenhang zwischen Corona und Diabetes beeinflussen können – zum Beispiel das Gewicht, die ethnische Zugehörigkeit oder Prädiabetes. Zuletzt noch geben die Forscher an, dass die Daten nur von krankenversicherten Patienten stammen. Das wirft die Frage nach einer angemessenen Repräsentativität auf.
Wie bewerten das andere Experten?
«Die Studie weist methodische Probleme auf, die nicht banal sind», sagt Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Kinderdiabetologe an der Kinderklinik Tübingen, zum «Spiegel».
Er bemängelt nicht nur die grossen Unterschiede von 166 und 33 Prozent in der Studie, die nicht ausreichend erklärt würden, sondern auch die fehlende Typisierung von Diabetes. Beim Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem zerstört die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die für die Produktion des lebenswichtigen Insulins zuständig sind. Bei Typ 2 dagegen produziert die Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin. Die Ursachen dafür sind häufig Übergewicht und mangelnde Bewegung.
Die Ursprünge der Krankheit sind also unterschiedlich. In Deutschland leiden die meisten erwachsenen Patienten an Typ 2, die Kinder dagegen an Typ 1. In den USA aber – wo das Ausmass von Adipositas ein ganz anderes ist – ist der Anteil der Typ-2-Erkrankung bei Kindern deutlich höher. Würde dieser Typ auch in der aktuellen Studie überwiegen – was allerdings nicht untersucht wurde – hätte die Erkrankung aber nichts mit einer Corona-Infektion zu tun. Sondern eher mit – möglicherweise auch durch die Pandemie bedingt – wenig Bewegung und viel ungesundem Essen. Typ 1 dagegen könnte laut Neu bei «ohnehin gefährdeten Personen tatsächlich durch Infektion getriggert werden.»
Zustimmung erhält Neu auch von Reinhard Berner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Dresdner Universitätsklinikum und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Er hält es zwar für denkbar, dass das Virus die Zellen der Bauchspeicheldrüse angreife, was infolge zu Typ-1-Diabetes führen könnte. Allerdings nicht innerhalb von etwas mehr als 30 Tagen.
Ausserdem weist er daraufhin, dass ein gesicherter Kausalzusammenhang bei einer Sekundärdatenanalyse nicht möglich sei. Man könne also in diesem Fall nicht mit Bestimmheit sagen: «Diese Diabeteserkrankung wurde eindeutig durch die vorhergehende Covid-19-Infektion verursacht».
Und genau wie die Forscher der Studie selber kritisiert er auch, dass der Faktor Übergewicht nicht geprüft worden sei. Dabei habe ein dickeres Kind ein deutlich höheres Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, als ein normalgewichtiges. Übergewicht erhöhe auch die Wahrscheinlichkeit eines schweren Corona-Verlaufs und damit die Tatsache, dass das Virus überhaupt erkannt werde.
Kann man die Ergebnisse gar nicht ernst nehmen?
Einige Fachpersonen bewerten die Ergebnisse der CDC-Studie schon als brauchbar. Die Untersuchung stehe «im Einklang mit anderen Publikationen, die eine Zunahme von Diabetes bei Kindern in den letzten beiden Jahren zeigen», sagt Dominik Schneider, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dortmund, zum «Spiegel».
Auch wenn die Differenzierung der Typen fehle, halte er die Daten für relativ aussagekräftig. «Nichtsdestotrotz bleibt natürlich die Kritik daran, dass die Daten nur relativ grob erfasst sind, berechtigt», sagt Schneider.
An der Strategie der Behörden in Deutschland würde er nichts ändern. Dafür sei der Befund nicht ausreichend. Ausserdem lassen sich die Zahlen nicht 1:1 auf Deutschland übertragen, wo die epidemiologische Lage eine andere sei.
Was bedeutet das nun für die Kinder und ihre Eltern?
Sowohl Neu wie auch Bernhard sagen zwar, dass Diabetes als Folge von Corona eine potenzielle Gefahr darstellen könnte. Allerdings wisse man derzeit zu wenig darüber. Eltern müssten sich aber nicht mehr Sorgen machen als ohnehin in der Pandemie. (man)