Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (59) hat sich angesichts des Korruptionsskandals im EU-Parlament unverhohlen schadenfroh gezeigt. «Willkommen im Europäischen Parlament», schrieb Orban am Montag im Onlinedienst Twitter.
«Und da haben sie gesagt, dass sie sehr besorgt über die Korruption in Ungarn seien», schrieb der rechtsnationale Staatschef weiter. Er fügte seiner Twitter-Botschaft ein Foto aus dem Jahr 1981 hinzu, auf dem die früheren US-Präsidenten Ronald Reagan (1911–2004) und George Bush (1924–2018) zu sehen sind, wie sie lauthals lachen.
Orban dürfte das Lachen inzwischen vergangen sein
Prompt bekam der dienstälteste Regierungschef der EU jedoch die politische Retourkutsche: Wegen der Sorge, dass Gelder in Ungarn wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung veruntreut werden, sollen nach einer Mehrheitsentscheidung im Kreis der anderen EU-Staaten bis auf weiteres fast 6,3 Milliarden Franken blockiert werden.
Dies teilte die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft in der Nacht zum Dienstag nach einer Sitzung der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel mit. Die nur noch formal zu beschliessende Einigung hat historische Dimension, ein solches Vorgehen gegen einen EU-Staat gab es zuvor noch nie.
EU setzt Ungarn unter Druck
Die Summe von 6,3 Milliarden Euro liegt um rund 1,8 Milliarden Franken niedriger als von der EU-Kommission vorgeschlagen und von Ländern wie Deutschland gewünscht. Die Einigung gilt aber dennoch als grosser Erfolg, da Ungarn nun unter Druck steht, weitere Reformen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit umzusetzen.
Reduziert wurde die Summe, weil mehrere EU-Staaten anerkennen wollten, dass die rechtsnationale Regierung von Orban in den vergangenen Wochen bereits Anstrengungen in diese Richtung unternommen hat.
Einigung auch bei anderen Themen
Als grosser Erfolg wurden die jüngsten Verhandlungen in Brüssel auch deswegen gewertet, weil sie zu einem Ende des ungarischen Widerstands gegen neue Ukraine-Hilfen und eine wichtige Richtlinie zur Umsetzung der internationalen Mindeststeuer für grosse Unternehmen führten. Hintergrund war laut Diplomaten die Drohung von Ländern wie Deutschland, eine Genehmigung des ungarischen Plans zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen zu blockieren. Dies hätte zur Folge gehabt, dass am Jahresende 70 Prozent der zur Verfügung stehenden EU-Mittel von 5,8 Milliarden Euro unwiderruflich verfallen.
Nach der ungarischen Zustimmung zur Mindeststeuerrichtlinie und den Ukraine-Hilfen wurde der ungarische Corona-Hilfen-Plan nun auch vom Ausschuss der ständigen Vertreter gebilligt. Auszahlungen sollen erst dann erfolgen können, wenn insgesamt 27 Voraussetzungen erfüllt sind. Diese betreffen zum Beispiel die Wirksamkeit der neu eingerichteten "Integritätsbehörde" zur Überprüfung von mutmasslichen Korruptionsfällen und das Verfahren für die gerichtliche Überprüfung staatsanwaltlicher Entscheidungen.
Dass Orbans Regierung unter Druck gesetzt werden konnte, dürfte nach Angaben von EU-Diplomaten auch an der finanziell angespannten Lage in dem knapp zehn Millionen Einwohner zählenden Land liegen.
Hohe Inflationsrate in Ungarn
So steht die ungarische Wirtschaft am Rande einer Rezession und die Kritik an Orbans Wirtschaftspolitik nimmt zu. Jüngst musste die Regierung sogar eine seit mehr als einem Jahr geltende Benzinpreisdeckelung mit sofortiger Wirkung aufheben, weil sie deren Funktionieren nicht mehr sicherstellen konnte.
Die Inflationsrate stieg zuletzt auf mehr als 22 Prozent. Die ungarische Regierung versuchte am Dienstag dennoch Gelassenheit zu demonstrieren. "Wir haben unsere Ziele erreicht", erklärte der Regionalentwicklungsminister und EU-Chefunterhändler Tibor Navracsics auf einer Pressekonferenz in Budapest. Sein Land werde alle Bedingungen für die Freigabe der eingefrorenen Gelder erfüllen und bereits im April oder Mai nächsten Jahres werde die Blockade der Mittel beendet sein.
Wie es weitergeht
Notwendig zur endgültigen Annahme der Entscheidungen sind nun noch formale Beschlüsse des EU-Ministerrats. Sie sollen in einem schriftlichen Verfahren bis zum EU-Gipfel an diesem Donnerstag gefasst werden. Damit soll gewährleistet werden, dass sich sie Staats- und Regierungschefs um andere Themen wie die Energiekrise kümmern können. Für die Entscheidungen zur Mindeststeuerrichtlinie und den Ukraine-Hilfen braucht es Einstimmigkeit. Der bislang beispiellosen Massnahme gegen Ungarn müssen mindestens 15 der 27 EU-Staaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
(nad/AFP/SDA)