Steil ansteigende Kurve an Hospitalisierungen und Todesfällen in Manaus: Das ist seit Januar in der brasilianischen Zwei-Millionen-Stadt wieder der Fall. Das ist erstaunlich, berichtet die «NZZ am Sonntag». Denn in Manaus war die Durchseuchung nach einer massiven Welle im Frühling und Sommer 2020 bereits erreicht. Eine Antikörperstudie hat ergeben, dass sich bis Oktober 2020 ganze 76 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus angesteckt hatten. Die Herdenimmunität war damit erlangt. Und Reinfektionen sind ein eher seltenes Ereignis, zudem verläuft die Krankheit bei einer Reinfektion deutlich milder. Nicht aber in Manaus.
Die ungemütliche Erklärung: Die in Brasilien vorherrschende Virusmutation P.1 hat es in sich. Die im Frühjahr gebildeten Antikörper können nicht mehr viel gegen sie ausrichten.
Von Antikörpern nicht mehr erkannt
Laut «NZZ am Sonntag» weist sowohl die brasilianische Variante P.1 wie auch die südafrikanische Variante B.1.351 eine besondere Veränderung im Erbgut auf, die sogenannte E484K-Änderung. Das Virus veränderte sich genau dort, wo die Antikörper normalerweise ansetzen. Laut Studien konnten bereits gebildete Antikörper von einer Erstinfektion damit die neuen Virusvarianten schlechter erkennen und weniger neutralisieren. Die Folge: Auch wer schon einmal schwer an Covid-19 erkrankt ist, kann die Krankheit ein zweites Mal bekommen.
Mehr über Corona-Mutationen
Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik Köln, erklärt in der «NZZ am Sonntag»: «Virusvarianten, die nicht optimal durch die Antikörper einer bereits durchgemachten Infektion erkannt werden, haben einen Vorteil.» Vermehrte Reinfektionen sind die Folge.
Immerhin: In der britischen Variante B117, die in der Schweiz vermehrt auftritt und bald zur dominierenden Virusvariante werden dürfte, ist diese Anpassung an bereits gebildete Antikörper nicht passiert. Dafür ist sie 30 bis 50 Prozent ansteckender als bisher verbreitete Corona-Varianten, weil sie sich besser an die Rezeptoren im Körper binden kann.
Je tiefer die Fallzahlen, umso kleiner die Mutations-Gefahr
Mit der Durchimpfung der Bevölkerung in den nächsten Monaten könnte uns das Virus aber schon wieder neue Schnippchen schlagen. «Wir bauen mit der Impfung eine Immunität auf, und das Virus wird darauf reagieren wollen», sagt Florian Klein. Reagieren, sprich mutieren, könne das Virus aber nur bei hohem Infektionsgeschehen. «Wenn wir niedrige Fallzahlen haben, reduzieren wir auch die Möglichkeit, dass sich das Virus verändern kann. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Varianten, die unserem Immunsystem entkommen können», sagt Klein. Deshalb sei es wichtig, die Fallzahlen tief zu halten.
Immerhin dürfte der Immunschutz nach der Impfung laut Klein höher sein als nach einer Infektion. «Bei natürlichen Infektionen gibt es eine grosse Bandbreite an Immunantworten», sagt Florian Klein. «Einige Personen bilden sehr gute neutralisierende Antikörper aus, bei wenigen anderen Personen findet man diese Antikörper jedoch kaum.» Da bei der Impfung immer die gleiche hohe Dosis verabreicht werde, dürfte die Immunantwort deshalb beständiger sein. (ct)