Demnach ist die in Grossbritannien entdeckte Variante des Coronavirus möglicherweise tödlicher als die bislang vorherrschende. Die Aufregung ist gross. Denn diese Nachricht wurde befürchtet, seit Johnson kurz vor Weihnachten von der raschen Ausbreitung der Mutation mit dem Namen B.1.1.7 berichtet hatte.
«Wir wurden heute darüber informiert, dass es zusätzlich zur schnelleren Ausbreitung einige Hinweise dafür gibt, dass die neue Variante (...) mit einer höheren Sterblichkeit verbunden sein könnte», sagte Johnson am Freitag vor Journalisten. Die Botschaft sandte Schockwellen auch nach Deutschland. «Darauf hat niemand gewartet», twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Doch prompt sah sich Johnson Kritik ausgesetzt. «Ich war ehrlich gesagt ziemlich überrascht, dass die Nachricht auf einer Pressekonferenz mitgeteilt wurde», sagte Mike Tildesley, Mitglied des wissenschaftlichen Expertengremiums Sage, der BBC. «Ich mache mir Sorgen, dass wir Dinge voreilig melden, wenn die Daten noch nicht wirklich besonders aussagekräftig sind.»
Die Mutation B.1.1.7 war Ende vergangenen Jahres in der südostenglischen Grafschaft Kent aufgetaucht und hatte sich rasch in London und Teilen des Landes ausgebreitet. Die Behörden machen sie für einen starken Anstieg der Neuinfektionen verantwortlich. Noch immer werden auf der britischen Insel täglich Zehntausende neue Corona-Fälle und mehr als 1000 Tote gemeldet.
Bei Viren treten stetig zufällige Veränderungen im Erbgut auf, Mutationen genannt. Manche verschaffen dem Erreger Vorteile - etwa, indem sie ihn leichter übertragbar machen. Die neue Variante ist nach Ansicht von Experten 30 bis 70 Prozent leichter übertragbar.
Keinen Zweifel gibt es daran, dass Wissenschaftler tatsächlich eine Steigerung der Sterblichkeit durch B.1.1.7 nachgewiesen haben: Sterben bei der bisherigen Form 10 von 1000 Männern in ihren 60er Jahren, sind es bei der Variante etwa 13 oder 14. Die Frage ist aber: Wie zuverlässig und aussagekräftig sind die Daten? Und: Darf man eine solch brisante Nachricht jetzt schon an die Öffentlichkeit zu geben?
Gesundheitsminister Matt Hancock sagte am Sonntag im Sender Sky News, es sei nicht sicher, wie tödlich die Mutation wirklich sei. «Aber das ist egal. Wichtig ist: Wir müssen dieses Virus unter Kontrolle bekommen.» Experten sehen Johnsons Angaben kritischer. «Ich würde gerne noch ein oder zwei Wochen warten und ein bisschen analysieren, bevor wir wirklich starke Schlussfolgerungen ziehen», sagte Tildesley. Ähnlich äusserte sich die medizinische Direktorin der Gesundheitsbehörde Public Health England, Yvonne Doyle.
Andere Wissenschaftler verteidigten Johnson. «Wir müssen transparent sein», sagte Regierungsberater Peter Horby der BBC. «Falls wir den Menschen nichts davon sagten, würde uns vorgeworfen, es zu vertuschen.» Entscheidend sei, dass die eingesetzten Impfstoffe allem Anschein nach auch gegen B.1.1.7 wirken. Bisher wurden in Grossbritannien mehr als 5,8 Millionen Menschen geimpft.
Es ist nicht das erste Mal, dass Johnson für Verwirrung sorgt. Kurz vor Weihnachten hatte er gesagt, dass die Mutation bis zu 70 Prozent schneller übertragen werde. Damit rechtfertigte er einen Lockdown mit weitreichenden Ausgangs- und Reisebeschränkungen. Doch er löste auch überstürzte Grenzschliessungen und Flugverbote aus. Tagelang stauten sich Tausende Lastwagen in Südengland, weil Frankreich den Fährverkehr und den Eurotunnel dicht machte.
Schon häufiger wurde Johnson vorgeworfen, er habe in der Corona-Krise sein Gespür verloren. So hat der Premier mehrfach selbst gesetzte Fristen gerissen, wann das Land aus dem Gröbsten heraus ist. Derzeit heisst es: zu Ostern.
(SDA)