Kniffliger Fall für Rechtsexperten
Kann Putin überhaupt für seine Kriegsverbrechen verurteilt werden?

Während der Krieg in der Ukraine noch in vollem Gange ist, fragen sich Völkerrechtsexperten, wie und ob Wladimir Putin für seine Taten verurteilt werden kann. Wie sich herausstellt, ist dies leichter gesagt als getan.
Publiziert: 01.03.2022 um 18:43 Uhr
|
Aktualisiert: 01.03.2022 um 19:03 Uhr
1/7
Der Krieg in der Ukraine dauert seit rund sechs Tagen an.
Foto: AFP

«Niemand auf dieser Welt wird dir dafür vergeben, dass du friedliche Ukrainerinnen und Ukrainer getötet hast», lässt sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) in einer Ansprache in der Nacht auf Dienstag zitieren. Die Aussage richtet er an den russischen Präsidenten Wladimir Putin (69), der bereits seit bald sechs Tagen versucht, die Ukraine einzunehmen. Selenski erwartet nun, dass internationale Gerichte Putin für seine Taten verurteilen.

Übersetzer bei Selenskis Ansprache den Tränen nahe
2:06
Emotionale Rede vor der EU:Übersetzer bei Selenskis Ansprache den Tränen nahe

Während der Angriff Russlands auf die Ukraine noch in vollem Gange ist, zerbrechen sich Völkerrechtsexpertinnen und -experten den Kopf darüber, ob und wie Putin persönlich für den Krieg zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie die Völkerrechtsprofessorin Angelika Nussberger und der Völkerrechtsprofessor Christoph Safferling im «FAZ»-Podcast «Einspruch» feststellen, ist das eine höchst komplexe Frage.

Vier Tatbestände könnten auf Putin zutreffen

Die zwei grossen Fragen, so die Experten, lauten: Was bedeutet der Überfall Russlands auf die Ukraine völkerrechtlich überhaupt für Putin? Und muss er sich früher oder später sogar vor dem Internationalen Strafgerichtshof dafür verantworten? Doch die Sachlage ist komplex, unter anderem auch, da es kaum historische Vergleiche zur aktuellen Lage gibt. Wichtig ist auch der Unterschied zwischen Internationalem Strafgerichtshof und Internationalem Gerichtshof.

Konflikte zwischen zwei Ländern werden vom Internationalen Gerichtshof verhandelt. Seit 2002 ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) allerdings für Personen zuständig. Zu dessen Hauptaufgaben gehört die Verfolgung und Bestrafung schwerster Verbrechen von internationaler Bedeutung. Je nach Tatbestand können dort also Einzelpersonen auf allen Ebenen verurteilt werden – vom einfachen Soldaten bis hin zu Staatsoberhäuptern, in diesem Fall also Putin. Dafür müssen allerdings mehrere Tatbestände erfüllt sein, erklärt Professor Safferling im Podcast. Vier davon, die Putin theoretisch erfüllen könnte, hat er näher erläutert.

Tatbestand 1 – Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Dieser Tatbestand sei, so Safferling, unabhängig von einem bewaffneten Konflikt zu betrachten. Erfüllt ist dieser, wenn systematische oder massenhafte Verletzungen von Menschenrechten betroffen sind. Laut dem Völkerrechtsexperten ist dies im Fall Putin erfüllt.

Tatbestand 2 – Kriegsverbrechen: Wer in einem bewaffneten Konflikt zivile Objekte angreift, macht sich «per se strafbar», so Safferling. Dabei seien auch Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung zu werten, die beim Anvisieren militärischer Objekte auftreten können. Bei Putins Krieg sei der Tatbestand als denkbar und realistisch zu beurteilen.

Tatbestand 3 – Völkermord: Dieser Tatbestand ist laut Safferling nicht betroffen.

Tatbestand 4 – Aggression: Der Tatbestand der Aggression ist relativ neu und kam erst 2011 zu den bestehenden Tatbeständen hinzu. Aggression sei bereits durch die Planung und Vorbereitung von Gewalt gegeben, erklärt Professorin Nussberger. «Eine derartige Gewaltkulisse in Form der Bedrohung an der ukrainischen Grenze aufzubauen, war bereits völkerrechtswidrig». Der Tatbestand verlange zudem eine offenkundige Verletzung der Uno-Charta, ergänzt Safferling die Ausführung. Das sei zwar durch den Angriff Putins klar erfüllt, eine Verurteilung sei trotzdem juristisch nur schwer umzusetzen.

Ukraine hat schwierigen Stand mit Gerichtshof

Völkerrecht sei allgemein «seit jeher» schwierig durchzusetzen, geben die Experten offen zu. Erschwerend kommt auch noch hinzu, dass die Ukraine kein Mitglied des IStGH ist. Denn am Gerichtshof können nur Verbrechen geahndet werden, wenn diese auf Staatsgebieten eines Mitglieds geschehen sind. Trotzdem ist die Lage nicht aussichtslos, erklärt Safferling. Denn es gebe dennoch zwei theoretische Möglichkeiten, den IStGH einzubinden.

Zum ersten könne das osteuropäische Land den IStGH ad hoc um Hilfe bei der Rechtsverfolgung bitten. Zweitens sei es möglich, dass der Uno-Sicherheitsrat den IStGH darum ersucht, sich einzuschalten. Letztere Möglichkeit könne aber politisch ausgeschlossen werden, da der Aggressor Russland bis jetzt bekanntlich ein Vetorecht in eben diesem Sicherheitsrat hat. Nun fordert Grossbritannen allerdings, dass Russland aus dem Sicherheitsrat ausgeschlossen werden soll.

Nussberger und Safferling kommen zum Schluss, dass die Tatbestände Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei Putin denkbar seien. Was sich anhört wie ein schlechter Witz, aber wahr ist: Wenn es zu einer Klage kommt, müsste Putin als Aggressor der Klage selbst zustimmen. Dass Putin dies tut, ist natürlich sehr unwahrscheinlich.

Ermittlungen gegen Russland laufen bereits

Tatsächlich hat der IStGH bereits Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine eingeleitet, allerdings richten diese sich nach aktuellem Stand nicht direkt gegen Putin selbst. Das kündigte Chefankläger Karim Khan am Montagabend in Den Haag an. Die Untersuchung werde «so schnell wie möglich» in Gang gesetzt. Bereits kurz nach der Invasion Russlands in die Ukraine in der vergangenen Woche hatte der Ankläger erklärt, er beobachte die Lage eingehend.

Nach Angaben Khans beziehen sich erste Ermittlungen zunächst auf mögliche Verbrechen, die vor der Invasion Russlands begangen wurden. Angesichts der Ausbreitung des Konflikts sollen die Ermittlungen aber allenfalls erweitert werden. Das Gericht hatte unter anderem bereits die russische Besetzung der Krim im Jahr 2014 untersucht. Es gebe «eine ausreichende Grundlage für die Annahme», dass die Tatbestände Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine begangen wurden, so Khan. Doch: Die Untersuchungen sollen sich auf alle mögliche Verbrechen aller beteiligten Parteien, also auch die Ukraine, richten. (chs)

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?