«Keinem von uns geht es gut»
Olena Selenska, First Lady der Ukraine, kämpft gegen die Traumata des Krieges

Der Schrecken des Kriegs seien allgegenwärtig für alle Ukrainer, sagt Olena Selenska, First Lady der Kriegsnation Nach vier Monaten Terror «geht es keinem von uns gut». Selenska kämpft gegen die Traumata des Krieges. Fast alle würden psychologische Hilfe benötigen.
Publiziert: 08.07.2022 um 02:42 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2022 um 13:48 Uhr
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Olena Selenska, First Lady der Ukraine, auf dem Cover der jüngsten Ausgabe des Magazins «Time».
Foto: Time

Olena Selenska (44), First Lady der Ukraine, meidet das Rampenlicht, so gut sie kann. Ihr Mann, Präsident Wolodimir Selenski (44), wechselt zwar ständig seinen Aufenthaltsort, um vor russischen Killern sicher zu sein. Als Präsident der Nation im Krieg ist er allpräsent, in ständigem Kontakt mit dem eigenen Volk und Verbündeten. Seine Frau Olena dagegen waltet und schaltet im Hintergrund.

Unlängst sprach Selenska über ihr Leben im Krieg mit der Vogue. Das Interview wurde per E-Mail geführt. Selenska reist nicht ins sichere Ausland. Sie wird in der Heimat gebraucht. Sie helfe, wo sie nur könne. Auch wenn sie privilegiert lebt, verstehe sie sich als Soldatin: «Jetzt sind alle Ukrainer die Armee. Jeder tut, was er kann.»

Die Präsidentengattin äussert tiefen Respekt für die Frauen des Landes. «Ich werde immer daran denken, wie mutig meine Freundinnen sind!», sagt Selenska. «Was diese Frauen – zerbrechlich und elegant in Zeiten des Friedens – in der Lage sind zu tun, wenn es Krieg gibt! Ihre Geschichten inspirieren mich. Ich bin so stolz auf sie.»

Andere Art der Kriegsführerin

Die ersten zehn Wochen des Krieges habe sie weitgehend im Verborgenen gelebt, sagte Selenska jetzt dem Magazin «Time». Dann tauchte aus ihrem Versteck auf und hat seitdem ihre Stimme als Kriegsführerin der anderen Art gefunden.

Ihr Mann ist Kriegsführer. Sie, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Land bei der Bewältigung seiner kollektiven und persönlichen Traumata zu helfen. Im Mai startete Selenska eine Regierungsinitiative, um jedem Ukrainer psychologische Unterstützung zukommen zu lassen.

Die First Lady hat nun damit begonnen, Trauma-Berater auszubilden, psychologische Hotlines einzurichten und ausländische Experten für klinische Unterstützung zu gewinnen. Die psychische Belastung durch den Krieg sei überwältigend, sagt Selenska. Ihre Mission: die Aufarbeitung von Kriegs-Traumata.

«Keinem von uns geht es gut»

Das ukrainische Gesundheitsministerium nimmt an, dass fast ein Drittel der Bevölkerung vermutlich psychologische Betreuung benötige. Auch viele der mittlerweile 700'000 Soldaten würden während ihres Dienstes wahrscheinlich ein Trauma erleben. Viele kehren erst gar nie zurück. «Das kann enorme Folgen für das Land haben», sagte Selenska im Gespräch mit «Time» im Kiewer Präsidentenpalast.

Millionen von Ukrainern würden seit Monaten «Wellen des Schreckens und der Tragödie» hautnah erleben müssen. Millionen von Familien seien entzweit worden. «Jeden Tag liest und hört man davon, man saugt es auf, und das hat Auswirkungen», sagt die Präsidentengattin.

«Jeder von uns, auch ich, hat gespürt, dass unser psychologischer Zustand nicht so ist, wie er sein sollte.» Nach vier Monaten Krieg, sagt die First Lady, «geht es keinem von uns gut». (kes)

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