Im Osten nichts Neues. Seit Mai 2022, als die russische Armee die ukrainische Hafenstadt Mariupol besetzte, steckt Putins sogenannte «militärische Spezialoperation» fest. Die täglichen Frontberichte der Ukraine und westlicher Geheimdienste zeigen immer das gleiche Bild: verlustreiche Scharmützel in der Ostukraine, vor allem im stark umkämpften Nord- und Südwesten von Donezk. Geländegewinne sind minimal, die Zahl der Gefallenen sowie der Materialverschleiss immens. Das «Wall Street Journal» schreibt von 200'000 toten russischen Soldaten seit Kriegsbeginn. Allein über 4000 Panzer habe Russland in dieser Zeit bereits verloren, führt das Schweizer Analysedienstleistungsunternehmen «Statista» auf. Zudem klagen russische Truppen, darunter auch die Wagner-Gruppe, über chronischen Munitionsmangel.
Sechs Monate nach der Teilmobilisierung von 300'000 Reservisten kann Wladimir Putin (70) noch immer keine militärischen Erfolge vorweisen. Die noch am Jahrestag der Invasion erwartete Grossoffensive steckt im Stellungskrieg fest. Und sie beginnt zu erlahmen. Am Montag berichteten das Institute for the Study of War (ISW) und das britische Verteidigungsministerium von massiven Problemen, mit denen Russlands Truppen in den Regionen Luhansk und Donezk zu kämpfen hätten. Der Wagner-Gruppe gelingt es nicht, die ukrainischen Soldaten in Bachmut einzukesseln, und in Wuhledar, südwestlich von Donezk, endet die russische Panzeroffensive in einem ukrainischen Hinterhalt. Die Kampfmoral der Russen liegt am Boden.
Zahl der russischen Angriffe stark gesunken
So beobachtet Oberst Oleksiy Dmytrashkivskyi, Pressechef der ukrainischen Verteidigungskräfte an der Tavria-Front, dass in der vergangenen Woche die Zahl der täglichen Angriffe von 90 bis 100 auf 20 bis 29 gesunken sei. Gegenüber «Bild» erklärt ein hoher Nato-Beamter unterdessen, die von Russland angekündigte Mega-Offensive sei gescheitert. «Mehr kommt da auch nicht», vermutet der Insider.
«Der Operation fehlt es an ausreichender Unterstützung und Material, um den Druck auf die ukrainischen Verteidiger und die Intensität der Angriffe zu erhöhen», heisst es im Report des ISW zur Einschätzung der russischen Offensive in der Region Luhansk. Es würde an Panzern fehlen. Selbst wenn alle Reserven auf die Region Luhansk fokussiert würden, sei es sehr unwahrscheinlich, dass die russische Offensive ihr angestrebtes Ziel erreiche, so die ISW-Experten weiter.
Putins Grossoffensive ist gescheitert
Es fehlen Ausrüstung und Ausbilder für neue Rekruten
Zwingt die militärische Schwäche den Kreml-Chef an den Verhandlungstisch? Oder plant Wladimir Putin einen neuen Sturm? Die Ukraine hatte noch am Anfang des Jahres mit einer grossen zweiten Mobilmachung gerechnet. Doch auch die Rekrutierung neuer Reservisten scheint zu stocken. Zwar wurden in vielen Regionen Russlands Männer im wehrpflichtigen Alter in die Rekrutierungsbüros bestellt, angeblich um ihre persönlichen Daten zu aktualisieren, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti. Von einer zweiten Mobilmachung hingegen will der Kreml öffentlich nicht sprechen.
Die Armee wolle eine neue Mobilisierungswelle, sagt der ukrainische Vizegeheimdienstchef Vadym Skibitsky dem Wall Street Journal (WSJ), doch es mangele an Ausrüstung sowie an qualifizierten Ausbildern für die neuen Rekruten. Das russische Militär stünde im «Stand-by»-Modus, so Skibitsky. Nur der Chef der russischen Söldner-Truppe Wagner, Jewgeni Prigoschin (61), hat die Eröffnung von 58 Rekrutierungszentren in Russland verkündet. Häftlinge will der ehemalige Koch von Putin jedoch nicht mehr rekrutieren.