Die Zahl der gefallenen Soldaten in der Ukraine ist hoch. Zu hoch. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) gehen die Kämpfer aus. Berichte der Ukraine zeigten, dass sogar schon weibliche Häftlinge an die Front gebracht werden. Verschiedene russische Städte melden nun, dass Wehrpflichtige in die Militärbüros vorgeladen werden. «Die zweite Welle der Mobilisierung hat in Russland begonnen», schreibt der russische Soziologe Nikolai Mitrochin von der Universität Bremen auf Telegram.
Offenbar wurden in vielen Regionen Russlands Männer im wehrpflichtigen Alter unter dem Vorwand in die Rekrutierungsbüros bestellt, ihre persönlichen Daten zu aktualisieren. Das berichtete unter anderem die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti.
Im staatlichen Fernsehen wurde versichert, dass es sich nicht um eine Zwangsmobilisierung handelt. Man versuche lediglich Männer dazu zu motivieren, «die Heimat und ihre Interessen zu verteidigen», sagte der Gouverneur der Republik Udmurtien. Mit welchen Mitteln man «freiwillige Kämpfer» für den Krieg begeistert, ist unklar. Fest steht aber: Russland hat nach 13 Monaten Krieg nur wenige territoriale Erfolge erzielen können und dabei viele Soldatenleben verloren.
Vorladungen in 42 Regionen Russlands
Putin mobilisierte im September 300'000 Wehrpflichtige und versprach, dass nicht alle in die Ukraine entsandt werden. Das war Putins drastischster Schritt, der einen Teil der Bevölkerung wachrüttelte. Das «Wall Street Journal» schrieb im Februar, dass Russland seit Kriegsbeginn etwa 200'000 Kämpfer in der Ukraine verloren hat.
Mit zunehmender Opferzahl steigt der Druck auf Putin. Die angekündigte Grossoffensive der Russen ist ins Stocken geraten. Und: Die Ukraine plant im Frühling, selbst zurückzuschlagen. Um die wenigen eroberten Territorien verteidigen zu können, werden mehr Soldaten benötigt. Deshalb bekamen viele Männer in Russland unerfreuliche Post.
Die Vorladungen wurden laut Radio Liberty an potenzielle Soldaten aus 42 Regionen im ganzen Land geschickt. Die amerikanische Politikforscherin Dara Massicot ist überzeugt: Russland wird definitiv Männer mobilisieren. «Entweder durch eine Reihe kleiner Einberufungen oder durch eine massive Mobilisierung», sagt sie. Auch wenn es sich aktuell um keine offizielle Mobilisierung handelt, könnte sich die Aktion zu einer entwickeln.
Wer nicht freiwillig kämpft, wird «überredet»
Die Taktik der Militärbüros: Nach und nach werden ein paar mehr Männer einberufen. «Es sind vorbereitende Methoden, um die Zahlen in die Höhe zu treiben», erklärt Massicot das Vorgehen des Kremls. Und: «Wenn das nicht klappt, müssen sie es eskalieren.» Massicot warnt davor, dass die Militärbüros die Aktualisierung der Daten nutzen könnten, um die bevorstehende zweite Mobilisierungswelle schnell und unkompliziert über die Bühne bringen zu können.
Das Ziel des ehemaligen Präsidenten Dimitri Medwedew (57) ist, 400'000 Männer zu rekrutieren. Mitrochin zweifelt daran, dass man diese Anzahl an Männern freiwillig für den Krieg gewinnt. Man werde sie «überreden» müssen. «Dann erhalten sie neue Fliegeruniformen, ein oder zwei Monate Training und werden an die Front geschickt, um die Löcher in der Verteidigung nach der ukrainischen Offensive zu füllen», prognostiziert der Soziologe.
Der Kreml bestreitet vehement, dass es eine zweite Mobilisierung geben würde. Die Gerüchte darüber würden von prowestlichen Medien verbreitet, um die Arbeit der russischen Militärbüros zu diskreditieren.