Menschen flüchten verzweifelt auf die Dächer ihrer Häuser. Nach der Zerstörung des Kachowka-Damms strömen 18,2 Milliarden Kubikmeter Wasser auf die umliegenden Städte flussabwärts Richtung Cherson. Der Pegel des Dnjepr stieg schlagartig an und reisst alles mit. «Wo bleibt die Evakuierung?», schreibt eine Person verzweifelt in die lokalen Chaträume, die eingerichtet wurden.
Sie ist nicht allein. Viele flehen um Hilfe. «Dort wird geschossen, dort ertrinken wir – was ist das für ein Leben?», sagt eine Frau aus Cherson zu Radio Swoboda. «Alles hier wird vernichtet», sagt ein Mann und zeigt auf die Umgebung. «Alles wird davonschwimmen.»
In der Region rund um Cherson und Nowa Kachowka herrscht Ausnahmezustand. Die linke Seite des Flusses Dnjepr wird von russischen Besetzern kontrolliert, die rechte von der Ukraine zurückerobert. Betroffen von der Überschwemmung sind beide Seiten.
Keine Rettung in Sicht
«Ihr habt keine Ahnung, was gerade am linken Ufer passiert», schreibt ein Mann in den Chat. Der ukrainische UN-Vertreter Serhij Kislizia (53) beschuldigte Russland vor dem Sicherheitsrat, dass die Besatzer zwar Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen, doch die ukrainische Bevölkerung völlig im Stich gelassen wird. «Auf dem von Russland besetzten Teil versuchen die Besatzer nicht einmal, den Menschen zu helfen», warf der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) Russland vor.
«Das Wasser hat das Dach erreicht, man kann nirgendwo mehr hin, sie werden ertrinken. Hilfe, meine Verwandten sind dort!», schreibt eine Frau aus der Stadt Oleschky mit 25'000 Einwohnern in einem lokalen Chat.
Oleschky ist bisher am stärksten von der Überschwemmung betroffen und wird von russischen Besatzern kontrolliert. Zwar hat Russland Notfallbehörden ernannt, doch viele berichten, dass keine Rettung in Sicht ist. Wer ein Boot hat, versucht auf eigene Faust, Menschen aus den Häusern zu befreien.
«Ich hab keinen Platz für alle Tiere, es bricht mir das Herz»
«Wir schwimmen gerade über unseren Garten», sagt ein Bewohner, der mit dem Schlauchboot nach Überlebenden sucht. Ganze Dörfer stehen unter Wasser. «Ist hier jemand?», ruft ein anderer. Lediglich Dachspitzen und Baumkronen lassen erahnen, dass unter dem Wasser ein Wohngebiet liegt.
Auch für die Tiere ist die Situation dramatisch. Der Zoo in Nowa Kachowka war einer der ersten Orte, der von den Wassermassen geflutet wurde. Bis auf ein paar Schwäne und Enten konnten keine der etwa 300 Tiere gerettet werden.
«Ich habe fünf Hunde und eine Familie. Ich hab keinen Platz für alle Tiere, es bricht mir das Herz», sagt eine Frau aus Hola Prystan. Die Stadt stand am Mittwochmorgen zu 80 Prozent unter Wasser.
Sieben Menschen werden vermisst
Obwohl in Nowa Kachowka der Pegel sinkt, könnte er in umliegenden Städten in den nächsten drei Tagen auf weitere Meter steigen und die Städte komplett versinken lassen. In vielen Regionen gibt es keinen Strom. Die Bewohner können so auch keinen Kontakt mit den Behörden aufnehmen.
Das Wasser wird knapp, denn durch den zerstörten Stausee sind viele Orte von der Versorgung abgeschnitten. Noch immer werden sieben Menschen vermisst, sagte der von Russland eingesetzte Bürgermeister Wladimir Leontjew.