Auf einen Blick
Achtung, dieser Text ist nicht jugendfrei. Die amerikanische Politik im Jahr 2024 ist hochgradig unanständig. Einen «dummen Hurensohn» nennt der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump (78) den amtierenden US-Präsidenten Joe Biden (78). Dieser beschimpft Trumps Anhänger als «Abfall». Und Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris (60), die ihren greisen Boss im Januar gern im Oval Office ablösen würde, kämpft vergeblich um mehr Anstand im Rennen um das mächtigste Amt der Welt.
Milliarden haben die beiden grossen US-Parteien in das extrem knappe Kopf-an-Kopf-Rennen investiert und die sieben Swing States mit teils fragwürdiger Werbung plakatiert. In Arizona etwa höhnen die Republikaner mit einer «Menschenhändler sind für Kamala Harris»-Anzeige entlang der Autobahn und prangen damit die angeblich zu lasche Grenzpolitik der Demokratin an. Doch gehässige Werbebanner sind nicht die grösste Gefahr, die Amerika derzeit droht.
Dem Fernsehpublikum haben die Parteiapparate in unzähligen TV-Werbespots gehörig Angst eingejagt vor dem, was auf die Wahl des jeweiligen Gegners folgen würde. 2,4 Milliarden Dollar haben die beiden Parteien in den Wahlkampf investiert – zuzüglich der Mega-Beträge, die Organisationen wie die sogenannten «Super PACs» in politische Werbung reinbuttern.
244 Millionen dürfen mitentscheiden
Nicht wenige Amerikaner fürchten aufrichtig um die Zukunft ihres Landes, weil sie der Mär über die «kommunistische Kamala» oder den überspitzten Warnrufen vor dem 900-seitigen Positionspapier «Project 2025» glauben, das Trump angeblich als Blaupause für eine mögliche zweite Amtszeit herbeiziehen würde.
Viel Lärm um sehr viel Macht.
Jetzt endet der brutalste Wahlkampf der US-Geschichte. 244 Millionen Menschen in der 337-Millionen-Nation sind zur Wahl aufgerufen. Machen ähnlich viele mit wie beim letzten Durchgang im Jahr 2020 (Wahlbeteiligung: 66,6 Prozent), müssen Zehntausende Stimmzähler in den 50 US-Bundesstaaten rund 162 Millionen Wahlzettel auszählen.
2020 kam es dabei zu unschönen Szenen. Etwa im Bezirk Maricopa im Swing State Arizona, wo bewaffnete Milizionäre den Wahlprozess zu stören versuchten. Arizona hat reagiert und das Election Center in der Hauptstadt Phoenix mit Sichtschutz und Zusatzbarrikaden gesichert, damit die Stimmzählenden ungestört ihrer Arbeit nachgehen können. Die Wahlverantwortlichen in Florence, einem Vorort von Phoenix, machten genau das Gegenteil und verwandelten ihr Wahlzentrum für 32 Millionen Dollar in ein Glaswand-Büro, in das jedermann von allen Seiten her rund um die Uhr reinschauen und den Stimmzählern über die Schultern blicken kann.
Bewaffnete Gruppen bereiten sich auf «feindliche Übernahme» vor
Solche Massnahmen sind gut gemeint. Nützen tun sie wenig. Jetzt schon posaunt das Trump-Lager «Betrug!» und verweist auf angebliche Wahlfälschungen. Bis auf ein paar angezündete Wahlurnen im urdemokratischen Bundesstaat Oregon sind allerdings keine Wahleinmischungen nachgewiesen – einmal abgesehen von den Propaganda-Aktionen iranischer, chinesischer und russischer Online-Armeen, die mit ihren Falsch-Informationen zusätzlich Sand ins knarzende Getriebe der mächtigsten Demokratie der Welt streuen.
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Klar ist jetzt schon: Sollte Kamala Harris die Wahl gewinnen, wird Donald Trump mit Dutzenden bereits aufgegleisten juristischen Verfahren gegen das Resultat vorgehen. Schwer bewaffnete Gruppierungen wie die Patriots for America, die Blick Ende Oktober von ihren Plänen erzählten, bereiten sich auf die angeblich «feindliche Übernahme» in Washington vor – was auch immer das heissen mag.
Die Zeiten, in denen sich die politischen Gegner nach geschlagener Wahlschlacht die Hand reichten und einander mindestens telefonisch zur Wahl gratulierten, sind vorbei. Die kommenden Tage werden hoffentlich ein endgültiges Resultat liefern – aber garantiert keinen Seelenfrieden für die Millionen von Amerikanern, die das Vertrauen in ihr politisches System verloren haben.
Trump wäre erst der Zweite, dem der Comeback-Coup gelingt
Das Resultat dürfte dieses Mal länger auf sich warten lassen als üblich. Grund dafür sind neue Wahlregeln. So dürfen die eingeworfenen Wahlcouverts in Pennsylvania und Wisconsin erst am Wahltag geöffnet werden. Und in Georgia müssen alle Wahlzettel von Hand ausgezählt werden. Eine aufwendige Büez.
Sollte Kamala Harris am Ende gewinnen, wäre sie die erste Frau an der Spitze der Supermacht. Sollte Trump das Rennen machen, wäre er der erste Ex-Präsident seit Grover Cleveland (demokratischer US-Präsident von 1885 bis 1889 und dann wieder von 1893 bis 1897), der nach verlorener Wiederwahl erneut ins Weisse Haus einziehen würde.
Klar ist derzeit einzig: Am 20. Januar 2025 endet eine der längsten politischen Laufbahnen der US-Geschichte. Joe Biden verabschiedet sich dann in den wohlverdienten Ruhestand. Je nach Ausgang der Wahl wird das ein ganz, ganz bitterer Abgang.