Die Nächte in den Schützengräben an der Donbass-Front mag Roman Trokhymets (30) gar nicht: Verdammt kalt seien sie, lang und voller Emotionen. Kommt hinzu: In der rabenschwarzen Finsternis lässt es sich schlecht filmen. Und ohne Filmmaterial kann der einstige Makler und studierte Architekt aus Kiew und heutige Kämpfer in Bachmut der Welt nicht zeigen, wie es «wirklich ist» an der tödlichen Front.
Trokhymets ist der Social-Media-Star unter den ukrainischen Kämpfern. 44'000 Follower hat er auf Tiktok, fast 16'000 Menschen folgen ihm auf Instagram und immerhin 14'000 lesen seine Tweets. Sein Video «Gedanken und Erfahrungen unter Beschuss an der Front» hat mehr als 1,2 Millionen Klicks generiert.
Der Clip zeigt den jungen Mann bäuchlings am Boden liegend, die kristallblauen Augen weit offen, der Mund zu einem entspannten Lächeln verzogen. Rund um Trokhymets herum explodieren Granaten. Man hört andauernd Gewehrsalven. Er kommentiert das tödliche Geschehen rund um ihn herum mit stoischer Ruhe: «Um nicht durchzudrehen, bewundere ich die Natur.» Und erklärt, was er genau damit meint. «Die Biene hier, ab und an ein Schmetterling, der Wind im Gesicht: Das Leben ist grossartig, solange man am Leben ist.» Wenn man wisse, wofür man kämpfe, könne man alles ertragen.
Wieder eine Explosion, ganz nah. Trokhymets verdreht die Augen, verzieht den Mund, wie Cristiano Ronaldo (38) nach einem verschossenen Freistoss. Nur, dass es hier nicht um einen weiteren Sieg in der saudischen Fussball-Liga geht, sondern um Leben und Tod. Jede Explosion könnte Trokhymets erwischen, jeder Schuss könnte ihn treffen, jeder seiner Posts könnte der letzte sein. Das macht sie so faszinierend.
Jeder Krieg hat seine Botschafter, die aus den weit entfernten Schlachtfeldern exklusive News und Einblick in die heimischen Stuben schicken. Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939) hatte den Fotografen Robert Capa (1913–1954), der Zweite Weltkrieg (1939–1945) den deutschen Chirurgen und Autor Peter Bamm (1897–1975), der Vietnamkrieg (1955–1975) die allmorgendlichen Schaltungen im amerikanischen Radio. Und die Schlacht um Bachmut, die hat Robert Trokhymets.
Er kämpfte schon 2014 im Donbass
Schon beim Angriff pro-russischer Separatisten auf den Donbass 2014 meldete sich der Architekt als Freiwilliger und kämpfte als Teil des gefürchteten Asow-Regiments gegen die Eindringlinge. Am 24. Februar des vergangenen Jahres griff er erneut zur Waffe und liess sich in den Kriegsdienst einteilen. Seither postet er fast täglich von der Front und gibt direkten Einblick in das harsche Leben in den Schützengräben.
Dauerbeschuss statt Jacuzzi-Parties
Er berichtet über das Armee-Essen, während über ihm die Schüsse hinwegfegen, erklärt den trügerischen Schutz der Büsche, hinter denen er sich gerade vor den Russen versteckt und erzählt, wie sie am Morgen eine «feindliche Stellung besucht und beseitigt hätten: alles gut, alles ok».
Manchmal komme ihm alles vor wie im Film, sagt Trokhymets auf einem seiner Videos, immer wieder unterbrochen von russischen Granaten, die keine 100 Meter von ihm entfernt einschlagen. Noch vor wenigen Monaten erzählte er auf seinen Kanälen regelmässig über sein Grossstadt-Leben mit morgendlichen Jogging-Runden, schönen Frauen, Zigarren und Jacuzzi-Parties in Luxus-Apartments hoch über Kiew. «Jetzt bin ich hier in dieser Hölle.» Der Kontrast könnte nicht grösser sein.
«Zusammen werden wir gewinnen»
Mit seinen Videos will Roman Trokhymets informieren. Jeden und jede Einzelne. Die Welt soll direkt und ohne Filter erfahren, was an der Front passiert. Möglich ist dies durch das Internet, das es dank Elon Musks Starlink-Satellitenempfängern selbst in den Donbass-Schützengräben gibt. Gekämpft wird zwar im Modus vergangener Weltkriege. Die Kommunikationsmethoden aber, die sind topmodern.
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Die letzte Nachricht von Roman Trokhymets stammt vom 3. März aus einem verschneiten Graben nahe Bachmut. Er zeigt auf zwei Gewehre, mit denen er eine russische Stellung stürmen will, lächelt in die Kamera und sagt: «Zusammen werden wir gewinnen.»