«Putin ist bereit, alle roten Linien zu überschreiten»
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Österreichs Altkanzler Kurz:«Putin ist bereit, alle roten Linien zu überschreiten»

Ist Österreich zu russlandfreundlich? Ex-Kanzler Sebastian Kurz im Interview
«Wir haben immer versucht, einen Ort für Dialog zu sein»

Sebastian Kurz ist vor einem Jahr als österreichischer Kanzler zurückgetreten. In einem Buch blickt er auf seine steile Politkarriere zurück. Mit SonntagsBlick sprach er über Putin, den Krieg und den Wunsch, den er für seinen kleinen Sohn Konstantin hat.
Publiziert: 15.10.2022 um 05:00 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2022 um 14:31 Uhr
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Sebastian Kurz ist vor einem Jahr als Kanzler zurückgetreten.
Foto: David Payr/laif
Interview Guido Felder

Der ehemalige Politstar Sebastian Kurz (36) meldet sich zurück. Ein Jahr nach seinem Rücktritt als österreichischer Kanzler hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er auf seinen rasanten Aufstieg in die internationale Spitzenpolitik sowie auf Begegnungen mit Präsidenten wie Donald Trump und Wladimir Putin zurückblickt. SonntagsBlick traf ihn in Wien zum Interview.

Herr Kurz, Sie sind vor einem Jahr als Kanzler zurückgetreten. Haben Sie diesen Entscheid je bereut?
Sebastian Kurz:
So gerne ich in der Politik tätig war und es mir Freude gemacht hat, meinem Land und Europa zu dienen, geniesse ich es jetzt, etwas anderes in der Privatwirtschaft zu machen und meinen Horizont zu erweitern. Ich blicke gerne zurück, aber ich fühle mich in meinen neuen Aufgaben sehr wohl.

Seit Ihrem Rücktritt ist einiges gegangen. Hätten Sie Putin diese Aggression gegen die Ukraine je zugetraut?
Ich habe ihn immer als jemanden gesehen, der nicht nur weiss, was er will, sondern der auch sehr kühl und bereit ist, Grenzen und rote Linien zu überschreiten. Anfang Jahr habe ich mit einer militärischen Aktion gerechnet, aber das Ausmass hat mich überrascht und erschreckt.

Haben Sie gewisses Verständnis für Putins Ärger gegenüber dem Westen?
Ich glaube, dass in den vergangenen Jahren vieles falsch gelaufen ist. Aber nichts rechtfertigt einen Angriffskrieg mit einem solchen Blutvergiessen und unglaublichem Leid.

Hätte der Westen früher härter mit Putin umgehen sollen?
Vielleicht hätte das den Krieg verhindert, vielleicht wäre er aber dadurch schon früher ausgebrochen. Das weiss man nicht. Man muss sich einfach bewusst sein, dass Russland eine Atommacht ist und man daher unbedingt zu Gesprächen am Verhandlungstisch zurückkehren muss. Alles andere ist brandgefährlich und kann katastrophale Folgen haben. Ich bin sehr besorgt darüber, dass Putin vor nichts zurückschrecken könnte.

Österreich stand in den vergangenen Jahren stets in auffallend gutem Kontakt mit Moskau. Waren Sie zu wenig kritisch? Zu russlandfreundlich?
Wir sind ein kleines, neutrales Land und haben immer versucht, einen Ort für Dialog zu sein und mit allen Staaten dieser Welt eine Gesprächsbasis zu finden. Ich habe das immer für richtig befunden. Auch wegen der Entkopplung von China teilt sich die Welt immer mehr in zwei Teile. Wenn dadurch ein Exportmarkt verloren geht, hat das massive Auswirkungen auf unser Wohlstandslevel und die Arbeitsplätze. Das darf nicht unser Ziel sein.

Nur drei Monate nach der Annexion der Krim 2014 empfing der österreichische SPÖ-Staatspräsident Heinz Fischer Wladimir Putin in Wien mit militärischen Ehren. Andere EU-Staaten reagierten entsetzt. Ihre Aussenministerin Karin Kneissl lud Putin 2018 zu ihrer Hochzeit ein und machte sogar einen Knicks vor ihm ...
Es ist richtig, dass Österreich durch alle politischen Lager immer probiert hat, eine gute Gesprächsbasis mit Moskau zu haben.

Österreich drängte auch auf die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nordstream 2 …
Ein Mitgrund für den Erfolg der deutschen und österreichischen Industrie ist, dass wir im internationalen Vergleich trotz hoher Löhne immer günstige und stabile Energiekosten hatten. Wir haben alle davon wirtschaftlich profitiert.

Die ehemaligen Kanzler Christian Kern und Wolfgang Schüssel hatten nach ihrem Abgang Einsitz in Verwaltungsräten russischer Firmen. Geschäften auch Sie mit russischen Unternehmen?
Meine beruflichen Tätigkeiten finden in Europa, den USA und im Mittleren Osten statt. Zu Russland gibts keinen Konnex.

Persönlich: Sebastian Kurz

Sebastian Kurz (36) war ein politischer Senkrechtstarter. Mit 27 Jahren wurde er Aussenminister Österreichs, mit 31 Jahren Kanzler und somit jüngster Regierungschef weltweit. Nach Korruptionsvorwürfen – es geht um gefälschte Meinungsumfragen, die aus Steuergeldern finanziert worden sind und um Bestechung von Medien durch Inserate – trat er am 9. Oktober 2021 zurück und verabschiedete sich ganz aus der Politik.

Er machte sich mit der SK Management GmbH selbständig, berät Unternehmen und ist für den US-Tech-Investor Peter Thiel (55) in den USA tätig. Neu ist er mit seiner Investmentgesellschaft auch bei der Pflegeplattform Heldyn eingestiegen, die mit wenigen Klicks pflegebedürftige Menschen mit Pflegekräften und Therapeuten zusammenbringen will.

Kurz ist seit der Jugendzeit mit Susanne Thier (36) liiert, sie sind Eltern von Konstantin (11 Monate). Kurz zu Blick: «Die Hochzeit ist geplant!» Wann es so weit ist, verrät er aber nicht. (gf)

Sebastian Kurz (36) war ein politischer Senkrechtstarter. Mit 27 Jahren wurde er Aussenminister Österreichs, mit 31 Jahren Kanzler und somit jüngster Regierungschef weltweit. Nach Korruptionsvorwürfen – es geht um gefälschte Meinungsumfragen, die aus Steuergeldern finanziert worden sind und um Bestechung von Medien durch Inserate – trat er am 9. Oktober 2021 zurück und verabschiedete sich ganz aus der Politik.

Er machte sich mit der SK Management GmbH selbständig, berät Unternehmen und ist für den US-Tech-Investor Peter Thiel (55) in den USA tätig. Neu ist er mit seiner Investmentgesellschaft auch bei der Pflegeplattform Heldyn eingestiegen, die mit wenigen Klicks pflegebedürftige Menschen mit Pflegekräften und Therapeuten zusammenbringen will.

Kurz ist seit der Jugendzeit mit Susanne Thier (36) liiert, sie sind Eltern von Konstantin (11 Monate). Kurz zu Blick: «Die Hochzeit ist geplant!» Wann es so weit ist, verrät er aber nicht. (gf)

Die Schweiz übernahm die Sanktionen gegen Russland nur zögerlich. Finden Sie es richtig, dass die Schweiz, als neutrales Land, die Sanktionen mitträgt?
Ich will der Schweiz keine Tipps von aussen geben. Die Schweiz ist ein unglaubliches Erfolgsmodell, wo ich als Bundeskanzler immer gerne meinen Blick hingewandt habe, um zu lernen und die eine oder andere gute Idee zu kopieren.

In welchen Bereichen haben Sie abgeschaut?
Die Schweiz hat eine unglaubliche Wirtschaftskraft und ein beeindruckendes Wohlstandslevel erreicht. Mich faszinieren auch der Zugang zur direktdemokratischen Entscheidungsstruktur sowie die unaufgeregte und sachliche Art, die Dinge anzugehen.

Heute sind Sie Investor und Berater. Verdienen Sie mehr als damals als Kanzler, wo Ihr Lohn jährlich 300’000 Euro betrug?
Ja, aber ich habe meinen Lebensstandard kaum verändert. Was ich verdiene, wird gleich wieder investiert.

Sie haben das Start-up Dream Security gegründet, das gegen Cyberkriminalität vorgeht. Wie wichtig wird dieses Business?
Ich habe erlebt, dass Cyberattacken mehr und mehr zu einem Problem für grosse Unternehmen und auch Staaten werden.

Ihr Geschäftspartner wird Shalev Hulio sein. Er hat mit seiner Cyberfirma NSO die umstrittene Software Pegasus entwickelt, mit der Menschenrechtsaktivisten ausspioniert wurden. Ist dieses Engagement nicht heikel für Sie?
Es stimmt, dass mein israelischer Partner in der Vergangenheit in der Cyberoffence tätig war. Aber er hat gerade da gute Erfahrungen gesammelt, die wir nun für Lösungen in der Cybersicherheit gegen Angriffe auf kritische Infrastruktur verwenden können. Wir konnten bereits amerikanische und israelische Investoren gewinnen und 20 Millionen Dollar lukrieren.

In Ihrem Buch schauen Sie auf Ihre aussergewöhnliche Karriere zurück. Was würden Sie heute anders machen?
Es gibt viele Bereiche, in denen ich mir die Frage stelle, ob ich mit dem heutigen Wissensstand anders gehandelt hätte. Dazu gehört die Auflösung der Koalition mit der FPÖ nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Wir hatten nämlich eine gut funktionierende Regierungszusammenarbeit. Auch würde ich heute bei der Pandemie schneller die staatlichen Massnahmen reduzieren und auf Eigenverantwortung setzen.

Woran denken Sie am liebsten zurück?
Es war wunderbar, zweimal in einem sozialdemokratisch geprägten Land die Wahlen zu gewinnen und die Politik in eine andere Richtung zu lenken – bei der Migration sogar europaweit.

Bisher haben Sie ein politisches Comeback ausgeschlossen. Bleibts dabei?
Genauso gerne wie ich Politiker war, bin ich nun glücklich in meiner neuen Aufgabe. Ich sehe mich auch in Zukunft dort.

Ihr Sohn Konstantin ist bald ein Jahr alt. Wie oft sehen Sie ihn?
Natürlich immer, wenn ich in Wien bin. Ich vermisse ihn sehr, wenn ich alleine unterwegs bin. Wir machen dann oft eine Videoschaltung, was natürlich nie das Gleiche ist, als wenn ich ihn in meinen Armen halten kann.

Was war sein erstes Wort?
Er plappert viel vor sich hin. Wenn es etwas Erkennbares ist, dann meistens «Mama».

Wie haben Sie mit Ihrer Partnerin die Erziehung aufgeteilt?
Meine Freundin ist in Karenz und trägt daher die Hauptverantwortung. Ich versuche aber, meinen Beitrag zu leisten, da gehört natürlich auch Windelnwechseln dazu.

Soll Konstantin einmal Politiker werden?
Ich bin meinen Eltern immer dankbar dafür, dass sie mich liebevoll, liberal und mit viel Geborgenheit erzogen haben und ich das Gefühl hatte, dass ich alles tun konnte, was mich glücklich machte. Wenn ich das bei Konstantin nur halb so hinbekommen, bin ich glücklich.

Das Buch «Sebastian Kurz – Reden wir über Politik» wurde von Conny Bischofberger, Journalistin bei der «Krone»-Zeitung, geschrieben. Es wird vom Verlag «Edition a» in Wien herausgegeben.

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