Eine Rakete schlug beim Al-Ahli-Spital in der Innenstadt von Gaza ein, in dem Tausende Flüchtlinge Schutz gesucht hatten oder behandelt wurden. Laut palästinensischen Angaben starben mindestens 500 Personen, zahlreiche Opfer liegen noch unter den Trümmern. Bilder zeigen, wie Leichen geborgen werden. Dutzende Verletzte werden behandelt. Ärzte ohne Grenzen teilte mit, der Schlag habe ein «Massaker» angerichtet.
Nach der Darstellung Israels soll die Rakete vor allem auf dem Parkplatz des Spitals eingeschlagen sein. Die Zerstörungen seien vor allem durch eine sehr grosse Menge an Raketenantriebsmittel (Propellant) zu erklären. «Der Treibstoff hat eine grössere Explosion ausgelöst als der Sprengkopf selbst», behauptete Armeesprecher Daniel Hagari. Darum seien Fahrzeuge in Brand geraten. Auf dem Parkplatz hätten sich zum Zeitpunkt der Explosion viele Menschen aufgehalten.
Doch wer hat die Rakete abgefeuert? Hamas schiebt Israel die Schuld für den Beschuss zu, Israels Militär hingegen weist dies deutlich zurück und macht den Islamischen Dschihad im Gazastreifen verantwortlich. Der Islamische Dschihad ist eine islamistische Terrororganisation. Ideologisch ist sie der Hamas nicht unähnlich, unterhält aber noch deutlich engere Kontakte zum Iran.
Explosion auf Parkplatz
Israels Militärsprecher Daniel Hagari kündigte an, Beweise für die Annahme öffentlich machen zu wollen. Eine zusätzliche Überprüfung der operativen und nachrichtendienstlichen Systeme habe nun ergeben: «Das israelische Militär hat das Spital in Gaza nicht getroffen».
Am Mittwochmorgen folgten Hagaris Worten dann Taten. Die israelische Armee veröffentlichte in den sozialen Medien Drohnenaufnahmen, die ihrer Meinung nach beweisen, dass eine tödliche Explosion im Al-Ahli-Spital im Gazastreifen nicht durch sie verursacht wurde. Ein Video zeigt den Parkplatz des Spitals, wo sich die Explosion ereignete. Die Bilder zeigen, dass durch die Explosion ein grosses Feuer entstanden ist, es gibt jedoch keinen Krater. Nach Angaben der Armee hinterlassen israelische Angriffe in der Regel grosse Löcher im Boden. Die Drohnenaufnahmen deuten auch darauf hin, dass Granatsplitter auf den Dächern der nahegelegenen Gebäude einschlugen.
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Gespräch abgehört
Oberstleutnant Jonathan Conricus, ein weiterer Sprecher der israelischen Armee, sagte gegenüber CNN, die israelische Armee habe ein Gespräch des Islamischen Dschihads abgehört, in dem Kämpfer einen Fehlschuss zugegeben haben sollen. Man werde einen Mitschnitt des Gesprächs veröffentlichen, so Conricus.
Es sei das erste Mal, dass er eine Rakete so fallen gesehen habe, sagt ein Anhänger des Islamischen Dschihads darin. Deshalb nehme er an, dass die Rakete zum Islamischen Dschihad gehöre. «Sie gehört uns?», fragt einer der Palästinenser daraufhin. «Es sieht danach aus!», antwortet der andere. Bei den Raketenüberresten handle es sich um eine Rakete lokalen Typs. «Sie haben sie vom Friedhof hinter dem Spital abgeschossen und der Schuss ging daneben.» Der Mitschnitt lässt sich nicht unabhängig verifizieren.
Die israelischen Informationen deuten also auf einen fehlgeschlagenen Raketenabschuss der militanten Palästinenserorganisation hin. Videos zeigen, wie eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete in der Luft explodiert und danach brennende Trümmer auf das Spital stürzen.
So reagiert der Islamische Dschihad
Der Islamische Dschihad bezeichnete die von Israel erhobenen Vorwürfe laut Arcinfo am Mittwoch als «Lügen». «Wir behaupten, dass diese Anschuldigungen falsch und unbegründet sind». Israel wolle «diese Lügen nutzen, um seine Angriffe auf Spitäler zu rechtfertigen» und «sich der Verantwortung für sein Verbrechen zu entziehen», teilte der Islamische Dschihad mit. Der Bewegung zufolge wurde das Spital von Israel unter Androhung eines Bombenangriffs zur Evakuierung angewiesen, und es war eine von einem israelischen Armeeflugzeug abgeworfene Bombe, die die Tragödie verursachte.
Ali Jadallah, ein langjähriger Kriegsfotograf, sagt zur «New York Times»: «Ich kann kaum beschreiben, was ich gesehen habe. Ich war Zeuge der Tötung meiner Familie, aber was ich heute gesehen habe, kann ich nicht verarbeiten.»
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (73) hat die Verantwortung für den Raketenschlag strikt zurückgewiesen. «Die ganze Welt sollte es wissen: Es waren barbarische Terroristen in Gaza, die das Krankenhaus in Gaza angegriffen haben», teilte Netanyahu am Dienstag mit. Es sei nicht das israelische Militär gewesen. «Diejenigen, die unsere Kinder brutal ermordet haben, ermorden auch ihre eigenen Kinder», teilte er weiter mit.
Jordanien sagt Biden-Treffen ab
Jordanien hat ein für Mittwoch geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden abgesagt. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, werde erst stattfinden, wenn es eine Einigung gebe, den Krieg zu beenden und «diese Massaker» zu stoppen, sagte Aussenminister Aiman al-Safadi.
Biden selbst hat mit Bestürzung auf den Raketeneinschlag reagiert. Er sei «empört und zutiefst betrübt» über die Explosion in dem Krankenhaus und den schrecklichen Verlust von Menschenleben, der dadurch verursacht worden sei. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls habe er mit Jordaniens König Abdullah II. und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu gesprochen und sein Team angewiesen, weitere Informationen über den genauen Hergang zu sammeln.
Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat zu einer dreitägigen Staatstrauer ausgerufen. Palästinensische Flaggen sollten auf halbmast gesetzt werden.
Russland fordert Beweise von Israel
Nach dem Raketeneinschlag hat Saudi-Arabien das «abscheuliche Verbrechen» aufs Schärfste verurteilt. Das Land machte Israel für den Angriff verantwortlich, wie aus einer Erklärung des saudischen Aussenministeriums von Dienstagabend hervorging. Riad verurteile die «anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung» auf Zivilisten.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Raketeneinschlag im Gazastreifen verurteilt. «Nichts kann einen Angriff auf ein Krankenhaus rechtfertigen», schrieb er auf X. «Nichts kann es rechtfertigen, Zivilisten ins Visier zu nehmen.» Die Umstände müssten in vollem Umfang aufgeklärt werden. Das russische Aussenministerium sprach von einem «schrecklichen Verbrechen» und forderte Beweise in Form von Satellitenbildern von Israel.
Am Mittwoch meldete sich auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (65) zu Wort. «Ich bin entsetzt über die Bilder, die uns von der Explosion in einem Krankenhaus in Gaza erreichen. Unschuldige wurden verletzt und getötet. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer. Es ist wichtig, dass dieser Vorfall sehr genau aufgeklärt wird», schrieb er auf X.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65) bezeichnete die Explosion in Gaza-Stadt als «entsetzlich und erschreckend». «Es gibt keine Entschuldigung für den Beschuss eines Spitals voller Zivilisten», sagte von den Leyen am Mittwoch vor dem EU-Parlament in Strassburg.
Spontane Proteste
In mehreren muslimisch geprägten Ländern kam zu spontanen Protesten gekommen. Die im Libanon aktive pro-iranische Miliz Hisbollah rief einen «Tag des beispiellosen Zorns» gegen Israel aus. Dieser richte sich auch gegen den für Mittwoch geplanten Solidaritätsbesuch von US-Präsident Joe Biden in Israel, teilte die Schiitenorganisation am späten Dienstagabend mit. Biden wolle das «kriminelle Regime unterstützen».
Die libanesische Miliz betonte, Worte der Verurteilung reichten nicht mehr aus. Sie forderte die Menschen in der arabischen und islamischen Welt auf, ihrer Empörung bei Protesten Ausdruck zu verleihen.
In Amman versuchten Demonstranten zur israelischen Botschaft zu gelangen, wie die jordanische Nachrichtenagentur Petra am Dienstagabend meldete. Berichte über die Stürmung des Gebäudes wiesen jordanische Sicherheitskreise den Angaben nach zurück. Die Demonstranten seien aus dem Bereich entfernt worden.
Vor dem israelischen Konsulat in der türkischen Millionenmetropole Istanbul versammelten sich am Dienstagabend zahlreiche Demonstranten. Einige schwenkten palästinensische Flaggen und skandierten: «Nieder mit Israel!», wie eine Übertragung der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zeigte. Die Polizei war demnach mit einem Grossaufgebot vor Ort, um das Konsulat im Stadtteil Levent zu schützen. Israel wies seine Bürger an, die Türkei zu verlassen.
Iran reagierte auf Beschuss
In den südlichen Vororten von Beirut strömten Augenzeugen zufolge Hunderte Hisbollah-Anhänger auf die Strassen und forderten, Tel Aviv zu bombardieren.
Im Iran rief eine Menge im Stadtzentrum Teherans «Nieder mit Israel», wie Videos der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA zeigten. Die Regierung erklärte Mittwoch zum Trauertag. Irans Aussenamtssprecher verurteilte den Angriff aufs Schärfste und machte den Erzfeind Israel verantwortlich. In Teheran versammelten sich am frühen Mittwochmorgen hunderte Demonstranten vor der britischen und der französischen Botschaft in Teheran und forderten den «Tod Englands und Frankreichs», wie ein AFP-Korrespondent berichtete. Mehrere tausend Menschen kamen zudem auf einem zentralen Platz der iranischen Hauptstadt zusammen, um ihre Wut über den tödlichen Angriff zu manifestieren, wie ein AFP-Fotograf berichtete.
Der Weltsicherheitsrat soll sich nach dem Willen mehrerer Länder mit dem Raketeneinschlag in ein Krankenhaus im Gazastreifen beschäftigten. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland beantragten am Dienstag eine Dringlichkeitssitzung des mächtigsten UN-Gremiums für Mittwochvormittag New Yorker Zeit, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr. (SDA/AFP/neo/nad)