Evan Gershkovich (32), Russland-Korrespondent der US-Wirtschaftszeitung «Wall Street Journal», sitzt seit einigen Tagen im Moskauer Gefängnis Lefortowo in Haft. Ihm wird «Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung» vorgeworfen. «Beim Versuch, geheime Informationen zu erhalten, wurde der Ausländer in Jekaterinburg festgenommen», teilte der russische Geheimdienst FSB am vergangenen Donnerstag mit. Das «Wall Street Journal» bestätigte die Festnahme.
Am Sonntagabend gab es eine Art erstes Lebenszeichen vom US-Journalisten: Alexej Melnikow, ein Mitglied der Moskauer Kommission für öffentliche Überwachung, die die Behandlung von Gefangenen beobachtet, hat dem Reporter einen Besuch abgestattet. Er teilte seinen Eindruck von Gershkovichs Zustand auf Telegram – und gab dabei einen Einblick in das Leben hinter Gittern. Die wichtigste Erkenntnis des Besuchs: «Zum Zeitpunkt des Besuchs war er gut gelaunt und machte während des Gesprächs viele Witze.»
«Griessbrei zum Frühstück»
Gershkovich sei medizinisch untersucht und auf Krankheiten getestet worden. Ausserdem habe er die Gelegenheit bekommen, mit einem Psychologen zu sprechen.
Gershkovichs Zelle ist nach Melnikows Angaben mit einem TV, einem Radio und einem Kühlschrank ausgestattet. Die Raumtemperatur liege im normalen Bereich. Die Zelle könne bei Bedarf jederzeit selbstständig gelüftet werden. Spaziergänge würden täglich angeboten.
Auch zu den Mahlzeiten im Russen-Knast informiert Melnikow. Sie entsprächen den gängigen Normen. «Gestern gab es zum Beispiel Kohlsuppe, Kartoffeln und Hühnchen zum Mittagessen und Griessbrei zum Frühstück», berichtet er.
Zu Gershkovichs Zustand habe es bislang keine Beschwerden gegeben. Er erhalte sogar Umschläge, Papier und Stift, um Briefe zu schreiben.
Evan Gershkovich besucht Knast-Bibliothek
«Evan war mit einer hellen Jeans, einem Pullover und einem karierten Hemd bekleidet und wurde mit Unterwäsche, Socken, Hausschuhen, Schuhen, Handtüchern, Seife und Zahnputzzeug ausgestattet, als er in die Untersuchungshaftanstalt kam», schreibt der Beamte weiter.
Der Journalist habe Zeit gehabt, die Bibliothek der Haftanstalt aufzusuchen und lese zurzeit «Leben und Schicksal» von Vasili Grossman. Das Magazin «Der Spiegel» beschrieb das Buch als «Krieg und Frieden der Stalin-Hitler-Ära».
Politisch motivierte Festnahme
Unabhängig überprüfen lassen sich Melnikows Aussagen nicht. Gershkovich hatte vor seiner Festnahme versucht, eine Reportage über die Einstellung der Bevölkerung zu den Anwerbeversuchen der Privatarmee Wagner zu schreiben. Die Ingewahrsamnahme Gershkovichs dürfte vor allem eines sein: politisch motiviert.
US-Amerikaner werden immer wieder in Russland wegen Spionage verdächtigt. Das dürfte der erste Fall eines Journalisten sein, der offiziell beim russischen Aussenministerium akkreditiert ist. Russland hatte zuletzt im Zuge des Ukraine-Kriegs die Gangart gegen westliche Journalisten verschärft. Die russische Opposition sprach von einer «Geiselnahme».
«Putin ist bereit, jede Methode anzuwenden, um Druck auf den Westen auszuüben», teilte das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny (46) mit. Kremlchef Wladimir Putin (70) hatte in der Vergangenheit immer wieder inhaftierte russische Kriminelle in den USA durch einen Austausch mit in Moskau verurteilten Amerikanern freibekommen.