Tote Kameraden, zerstörte Städte und Situationen, in denen sie nur knapp dem Tod entkommen: In ihren Monaten an der Front müssen Soldaten einiges erleben. Knapp jeder dritte Soldat leidet laut Schätzungen nach seinem Einsatz an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), viele davon bleiben unbehandelt.
In einer Rehaklinik in Kiew versucht man, betroffenen Soldaten psychologische «Erste Hilfe» zu bieten. Für mehr fehlt die Zeit – die Soldaten hätten oft nur zwei bis drei Wochen, bevor sie zurück in den Krieg sollen, berichtet der «Spiegel».
Vom Juristen zum Soldaten – und zurück?
Einer der Soldaten, die hier in wenigen Tagen therapiert werden sollen, ist Serhij Borissowitsch. Vor dem Krieg arbeitete er als Jurist in Kiew, dann meldete er sich für den Armee-Dienst – freiwillig. Er hätte etwas bewegen wollen, sagt er. Borissowitsch kämpfte in Bachmut, sah dort Fürchterliches.
«In Bachmut sind die Dinge völlig aus dem Ruder gelaufen», erinnert er sich. In nur zwei Wochen seien in dieser Zeit mehr Kameraden seiner Einheit gestorben als in der ganzen Kriegszeit davor. Das ging an Borissowitsch nicht spurlos vorbei.
Nun soll er in der Therapie lernen, mit solchen Ereignissen umzugehen. Lernen, Angst und Wut in den Griff zu bekommen. In den Einzelstunden sollen schöne Erinnerungen gefunden werden, mit denen der Krieg für einige Augenblicke vergessen werden kann. Doch manchmal ist gerade der Krieg das, worüber die Soldaten sprechen möchten. «Meiner Therapeutin kann ich sagen, was ich sonst niemandem erzählen kann», erklärt Borissowitsch im Gespräch mit dem Magazin.
Soldaten sollen zurück an die Front
In anderen Therapien versuchen die Ärzte, mit den Soldaten Techniken zum Entspannen sowie Atemübungen für Paniksituationen zu lernen. Das Ziel ist nicht, ein Trauma zu behandeln. Dafür bräuchte es Zeit – Zeit, die die Ukraine in diesem Krieg nicht hat. Ziel ist, die Soldaten möglichst schnell wieder an die Front schicken zu können.
Keine einfache Aufgabe für die rund 55 behandelnden Ärzte und Therapeuten. «Ich habe bis vor kurzem noch Veteranen in einer Psychiatrie therapiert, das war etwas ganz anderes», sagt Hanna Jemzewa. Der 33-jährigen Psychotherapeutin soll es gelingen, die Sicht der Soldaten auf Dinge zu ändern. Es gälte dabei das gleiche Prinzip wie bei einer Midlife-Crisis: Mit Geschehenem soll abgeschlossen werden.
Geteilte Meinungen
Die Therapien sind vielfältig: Entspannungskreis mit Sitzsäcken, Traumreisen mit Virtual-Reality-Brillen oder Kunsttherapie. Nicht alle Soldaten sehen den Sinn hinter der Auszeit. «Uns hilft kein Psychiater mehr», sagt ein Soldat, der mit Borissowitsch in Bachmut kämpfte.
Für Serhij Borissowitsch selbst war die Woche wertvoll. Er denke häufig an den Rat seiner Therapeutin zurück und kann nun besser schlafen – dennoch ist er unglücklich. Borissowitsch wurde von der Front in den Planungsstab versetzt und fühlt sich da fehl am Platz: «Ich bin doch zum Kämpfen in die Armee gegangen.»