Er lässt sich nicht einschüchtern und schon gar nicht den Mund verbieten. Ilja Jaschin (39) hat keine Angst. Seit Jahren kritisiert er Kreml-Chef Wladimir Putin (69) und natürlich auch den Ukraine-Krieg. Und das, obwohl Putin jede Kritik am Krieg im Keim ersticken will. Seit Beginn der Invasion am 24. Februar haben die russischen Behörden ihr Vorgehen gegen Regierungskritiker verstärkt.
Viele von ihnen wurden ins Exil getrieben oder inhaftiert. Das Gesetz zur «Verbreitung falscher Informationen» über die Armee stellt Kritik an Russlands Offensive in der Ukraine unter Strafe und war nach Beginn des Einsatzes verabschiedet worden.
Jaschin hatte sich dennoch entschieden, zu bleiben und arbeitete weiter als Kommunalabgeordneter in einem Moskauer Stadtbezirk. Ausserdem schoss er weiter gegen Putin und den Krieg. Ende Juni wurde er schliesslich verhaftet. Der Vorwurf: «Verbreitung falscher Informationen». «Die wahren Gründe für meine Verhaftung sind natürlich politischer Natur», hatte der Putin-Kritiker bei seiner Festnahme erklärt.
Geheime Verhandlung – um «keine Staatsgeheimnisse preiszugeben»
Seitdem sitzt er hinter Gittern. Er wurde am 28. Juni wegen «Ungehorsams gegenüber der Polizei» zu 15 Tagen Haft verurteilt worden. Bevor die neuen Anschuldigungen bekannt wurden, hatte er in Online-Diensten berichtet, dass er am Mittwoch entlassen werden solle. «Vielleicht lassen sie mich raus, vielleicht auch nicht», schrieb er.
Jetzt ist klar: Jaschin bleibt erstmal im Knast. Am Mittwoch entschied ein Moskauer Gericht, dass Jaschin für mindestens zwei Monate in Untersuchungshaft bleiben muss. In der Regel wird die U-Haft für Angeklagte in Russland stetig bis zum Prozessbeginn verlängert.
Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Jaschin rief im Gerichtssaal am Mittwoch: «Habt keine Angst vor diesen Schurken! Russland wird frei sein!» Er bezeichnete die Anschuldigungen als politisch motiviert. «Der Fall hat von der ersten bis zur letzten Seite einen politischen Charakter», sagte er, bevor das Gericht beschloss, hinter verschlossenen Türen weiterzuverhandeln, um «keine Staatsgeheimnisse preiszugeben».
«Massengräber mit Zivilisten»
Jaschins Anwalt Wadim Prochorow sagte nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen, die Ermittlungen seien eingeleitet worden, weil Jaschin im April auf Youtube «die Ermordung von Zivilisten in Butscha» als «Massaker» bezeichnet habe.
In dem Video sagte Jaschin unter anderen: «Wir haben jetzt alle dieses grausige Bild von den Strassen der Stadt gesehen: Leichen von Zivilisten, die auf der Strasse liegen, Massengräber mit Zivilisten, die eilig mit Sand abgedeckt wurden. Es ist eine rein apokalyptische Szene, wie in Horrorfilmen.»
Nachdem in diesem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach dem Rückzug russischer Soldaten die Leichen von Zivilisten entdeckt worden waren, werden den russischen Einheiten Kriegsverbrechen vorgeworfen.
«Lasst euch nicht einschüchtern!»
Jaschin soll Russland geschadet haben, so der Vorwurf. Auf Facebook äusserte sich Jaschin dazu und schrieb: «Ich habe Russland mit meinen Reden verteidigt.» Vielmehr würde Putin dem Land schaden. Er habe eine Diktatur geschaffen und «hat jeden einschüchtert, der nicht einverstanden ist». Und weiter schreibt er: «Ich habe aber keine Angst und das sollten die Russen auch nicht haben.» Sein Appell an alle: «Lasst euch nicht einschüchtern!»
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Jaschin war in Russland vor allem während der Protestbewegung gegen den Kreml in den Jahren 2011 bis 2012 bekannt geworden. Er steht dem Kreml-Kritiker Alexej Nawalny (46) nahe, der derzeit eine neunjährige Haftstrafe in einem Straflager verbüsst. (AFP/jmh)