Der ganze «Signal-Gate-Chat» im Video
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Emojis und Beleidigungen:Der ganze «Signal-Gate-Chat» im Video

«Ich tippe zu schnell»
Das Protokoll des Geheimchat-Skandals

Ein Fehler bei der Nutzung des Messengers Signal führte zu einem Sicherheitsleck in Washingtons Regierungskreisen. Ein Journalist erhielt Zugang zu vertraulichen Chats über geplante Angriffe gegen die Huthi-Rebellen. Der Kriegschat zum Nachlesen.
Publiziert: 26.03.2025 um 20:45 Uhr
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Aktualisiert: 26.03.2025 um 20:47 Uhr
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Der Journalist Jeffrey Goldberg fand sich Mitte März plötzlich in einer Signal-Chatgruppe wieder.
Foto: AFO

Darum gehts

  • Chefredakteur von The Atlantic versehentlich zu geheimer Chatgruppe hinzugefügt
  • Vertrauliche Informationen über US-Angriffspläne gegen Huthi-Miliz im Jemen geteilt
  • Detaillierter Zeitplan für F-18-Kampfjets und Tomahawk-Raketen-Angriffe veröffentlicht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Marian NadlerRedaktor News

Die Nachricht schlug in Washington ein, wie eine Bombe: Jeffrey Goldberg (59), Chefredaktor des US-Magazins «The Atlantic» wurde vom Sicherheitsberater des Präsidenten Donald Trump (78), Michael Waltz (51), versehentlich zu einer Chatgruppe im Messenger Signal hinzugefügt. Darin tauschte sich das Who's who der republikanischen Regierung über Angriffe auf die Huthi-Miliz im Jemen aus. Dass Goldberg die Nachrichten mitlesen konnte, bekam von den Trump-Mitarbeitern niemand mit. 

Am Montag machte das Magazin den Vorfall publik, am Mittwoch legte man mit der Veröffentlichung des gesamten Chatverlaufs nach – nachdem Trumps Leute beteuert hatten, in dem Chat seien keine vertraulichen Daten geteilt worden. Die Begründung der Redaktion: Die Öffentlichkeit solle die Texte einsehen, um sich ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. 

Die veröffentlichten Nachrichten belegen, dass in dem Chat Bombardierungspläne geteilt wurden. Blick protokolliert den Austausch in Washingtoner Ortszeit.

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März, 16.28 Uhr

Michael Waltz schreibt: «Team – Wir richten eine Gruppe ein zur Koordination bezüglich der Huthi-Angelegenheit, insbesondere für die nächsten 72 Stunden. Mein Stellvertreter Alex Wong stellt ein sogenanntes ‹Tiger-Team› auf, bestehend aus Stellvertretenden und Stabschefs von Behörden. Das erfolgt im Anschluss an das Treffen heute Morgen im ‹Sit Room› (Situation Room, Anmerkung d. Red.), um Aktionspunkte zu besprechen. Diese Punkte werden später heute Abend verschickt.»

Er schreibt weiter: «Bitte nennt uns die beste POC (Point of Contact – Ansprechperson, Anmerkung d. Red.) aus eurem Team, mit der wir in den nächsten Tagen und über das Wochenende hinweg koordinieren können. Danke.» Anschliessend senden mehrere andere Gruppenmitglieder bis 18.34 Uhr ihre Ansprechpersonen.

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März, 8.05 Uhr

Waltz, der die Gruppe eingerichtet hat, meldet sich erneut. «Team, ihr solltet heute Morgen gemäss den Anweisungen des Präsidenten ein Abschlusspapier mit den jeweiligen Aufgaben in euren hochsicheren Posteingängen erhalten haben», teilt er mit. Für das Aussenministerium und das Verteidigungsministerium seien vorgeschlagene Benachrichtigungslisten für regionale Verbündete und Partner erarbeitet worden. Der Generalstab werde am Vormittag eine detailliertere Abfolge von Ereignissen für die kommenden Tage verschicken. Man werde mit dem Verteidigungsministerium zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Stabschef (COS), der Vizepräsident (OVP) und der Präsident (Potus) informiert sind, so Waltz weiter.

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März, 8.16 Uhr

Jetzt schaltet sich US-Vizepräsident J.D. Vance (40) in den Chat ein. «Team, ich bin heute unterwegs wegen einer Wirtschaftsveranstaltung in Michigan. Aber ich denke, wir machen einen Fehler», erklärt er – und fällt Trump anschliessend in den Rücken.

«3 Prozent des US-Handels laufen durch den Suezkanal. 40 Prozent des europäischen Handels tun das. Es besteht ein echtes Risiko, dass die Öffentlichkeit das entweder nicht versteht – oder nicht nachvollziehen kann, warum es notwendig sein soll», argumentiert der Republikaner.

«Das stärkste Argument, dies zu tun, ist laut dem Präsidenten, ein Zeichen zu setzen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dem Präsidenten bewusst ist, wie widersprüchlich das im Vergleich zu seiner Botschaft in Bezug auf Europa gerade wirkt. Zudem besteht ein weiteres Risiko: ein mittlerer bis starker Anstieg der Ölpreise», so Vance. Er sei bereit, sich der Mehrheitsmeinung des Teams anzuschliessen und seine Bedenken für sich zu behalten. Es gebe aber gute Gründe, den Angriff um einen Monat zu verschieben und abzuwarten, wie sich die Wirtschaft entwickele. 

Die Operation sei nicht zeitkritisch, merkt kurz darauf der Republikaner Joe Kent, ein Mitarbeiter von Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard (43) an. «Wir werden in einem Monat genau die gleichen Optionen haben. Die Israelis werden vermutlich Angriffe durchführen und uns dann um mehr Unterstützung bitten, um das wieder aufzufüllen, was sie gegen die Houthis eingesetzt haben.» Das sei aber nur ein nebensächlicher Faktor. Anschliessend verspricht er nicht-geheime Daten zum Schiffsverkehr zu versenden.

CIA-Direktor John Ratcliffe spricht über Signal-Chat
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Nach Panne:CIA-Direktor John Ratcliffe spricht über Signal-Chat

Zehn Minuten sendet CIA-Chef John Ratcliffe (59) eine Nachricht in den Chat. «Aus Sicht der CIA mobilisieren wir derzeit Ressourcen zur Unterstützung, aber eine Verzögerung würde uns nicht negativ beeinträchtigen. Die zusätzliche Zeit könnte genutzt werden, um bessere Ausgangspunkte zur Beobachtung der Huthi-Führung zu identifizieren», macht er deutlich.

Um 8.26 Uhr geht Verteidigungsminister Pete Hegseth (44) auf Vances Bedenken ein. «Ich glaube, die Kommunikation wird so oder so schwierig – niemand weiss, wer die Huthis überhaupt sind – und deshalb sollten wir uns auf zwei Dinge konzentrieren», führt der Ex-Moderator an. Biden sei gescheitert und der Iran habe die Huthis bezahlt. «Ein paar Wochen oder ein Monat zu warten, würde an der grundsätzlichen Lage nichts ändern.» 

Das Abwarten berge zwei unmittelbare Risiken: Das Risiko eines Leaks und das Risiko eines früheren Handelns Israels, wodurch der Waffenstillstand in Gaza zusammenbrechen würde und man nicht mehr zu den eigenen Bedingungen loslegen könnte. «Aber beides lässt sich managen», ergänzt Hegseth. «Wir sind bereit, zu handeln. Und wenn ich die finale Entscheidung treffen müsste, ob Ja oder Nein – ich würde es tun», unterstreicht er. Es gehe nicht um die Huthis, sondern darum, die Freiheit der Schifffahrt wiederherzustellen, was ein zentrales nationales Interesse sei, und zudem die Abschreckung zu erneuern – die Biden laut Hegseth zerstört habe.

Man könne aber auch problemlos pausieren. Hegseth verspricht, alles zu tun, um eine 100-prozentige operationelle Sicherheit durchzusetzen. Alles, während Goldberg mitliest.

Um kurz nach 8.30 Uhr ist erneut Waltz an der Reihe. Er kommentiert die Handelszahlen, um im Anschluss auf die Huthis zu sprechen zu kommen. «Egal, ob wir heute den Stecker ziehen oder nicht: Die europäischen Marinen sind nicht in der Lage, sich gegen die von den Huthis eingesetzten hoch entwickelten Waffen – etwa Antischiffsraketen, Marschflugkörper und Drohnen – zu verteidigen. Ob jetzt oder in einigen Wochen: Es wird an den USA liegen, diese Seewege wieder zu öffnen.» Die anfallenden Kosten will er den Europäern in Rechnung stellen.

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März, 8.42 Uhr

Waltz wiederholt sein Argument, die Amerikaner seien die Einzigen, die die Seewege im Roten Meer wieder öffnen könnten. «Kommunikativ gesehen sollten wir das unbedingt in die Liste der Horrorszenarien aufnehmen, um zu begründen, warum die Europäer endlich in ihre Verteidigung investieren müssen», stellt er fest.

Vizepräsident Vance markiert nur drei Minuten später Verteidigungsminister Hegseth. «@Pete Hegseth – wenn du denkst, wir sollten es tun, dann los. Ich hasse es nur, Europa schon wieder herauszuhauen.» Er schiebt hinterher. «Wir müssen einfach sicherstellen, dass unsere Kommunikation hier sitzt. Und wenn wir im Vorfeld etwas tun können, um das Risiko für saudische Ölanlagen zu minimieren, sollten wir das tun.»

Hegseth nennt die Europäer daraufhin Trittbrettfahrer und «erbärmlich». Michael Waltz habe recht – «wir sind die Einzigen auf dem Planeten, die das tun können. Niemand sonst kommt auch nur annähernd infrage.» Er habe das Gefühl, dass jetzt ein guter Zeitpunkt sei, die Seewege wieder zu öffnen. Allerdings habe Trump noch 24 Stunden Entscheidungszeit.

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März, 9.35 Uhr

Ein Gruppenmitglied mit dem Kürzel S M meldet, Trump habe grünes Licht gegeben. «Wir müssen bald gegenüber Ägypten und Europa klarstellen, was wir im Gegenzug erwarten», schreibt der Signal-Account. Es geht offenbar um Zahlungen. «Wenn die USA die Freiheit der Schifffahrt erfolgreich und mit hohem Aufwand wiederherstellen, dann muss daraus auch ein wirtschaftlicher Vorteil gezogen werden», so die Person weiter. Hegseth dazu: «Einverstanden.»

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März, 11.44 Uhr

Der Zeitpunkt, an dem Hegseth die sensiblen Daten zum Angriffsplan in den Chat postet. «12:15 ET: F-18 starten (erstes Angriffspaket)», schreibt er. Bedeutet: Amerikanische F-18-Kampfjets düsen in Richtung Jemen. Und weiter: «13:45: ‹Trigger-basiertes› F-18-Angriffsfenster beginnt (Ziel-Terrorist befindet sich an seinem bekannten Aufenthaltsort, sollte also PÜNKTLICH sein – ausserdem starten MQ-9-Kampfdrohnen)». Bedeutet: Sobald die Zielperson identifiziert wurde, öffnet sich das «Angriffsfenster». Gemeint ist der Zeitraum, in dem die Amerikaner zuschlagen. 

Damit nicht genug, schreibt Hegseth: «14:10: Weitere F-18 starten (zweites Angriffspaket)». Der Zeitpunkt, an dem die zweite Angriffswelle starten soll, weitere Kampfjets starten in Richtung Jemen. «14:15: Drohnen erreichen das Ziel (ZU DIESEM ZEITPUNKT FALLEN DEFINITIV DIE ERSTEN BOMBEN, vorbehaltlich früherer ‹Trigger-basierter› Ziele)», liest Goldberg mit. Um diese Uhrzeit greifen die Kampfdrohnen des Typs MQ-9 im Nahen Osten an.

Der Angriffsplan geht noch weiter. «15:36: Zweiter F-18-Angriff beginnt – ausserdem werden erste Tomahawk-Raketen vom Meer aus abgefeuert.» Das Feuer der Amerikaner wird heftiger. Kampfjets greifen an und auch die US-Marine feuert Raketen auf die Terroristen ab. 

Die Sicherheit des Einsatzes wird zu diesem Zeitpunkt laut Hegseth gewahrt. Eine falsche Annahme, denn der «The Atlantic»-Chefredaktor hat alles mitbekommen.

Später meldet Waltz den Erfolg. Vance kommt bei den Abkürzungen aber nicht ganz mit. «Was?» fragt er in den Chat. Waltz entgegnet: «Ich tippe zu schnell». «Das erste Ziel – ihr Top-Raketen-Typ» sei in das Gebäude seiner Freundin gegangen und das Gebäude sei jetzt eingestürzt. Es folgen freudige Nachrichten. Waltz schickt drei Emojis in den Chat: eine Faust, eine US-Flagge und eine Flamme.

Doch die Freude sollte nur bis zu dieser Woche anhalten. «Wären diese Informationen – insbesondere die genauen Startzeiten der amerikanischen Flugzeuge in Richtung Jemen – in diesen entscheidenden zwei Stunden in die falschen Hände geraten, hätten amerikanische Piloten und anderes amerikanisches Personal einer noch grösseren Gefahr ausgesetzt sein können, als sie normalerweise zu erwarten hätten», lesen die Amerikaner am Mittwoch im «The Atlantic»-Artikel – zusammen mit dem gesamten Chat.

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