China geht es nicht gut. Das Ansehen des asiatischen Landes hat unter Xi Jinping (69) stark gelitten, die Wirtschaft durchlebt ungewöhnlich unsichere Zeiten: Der chinesische Immobilienmarkt steckt in einer tiefen Krise, der Yuan erreichte kürzlich einen historischen Tiefstand, die Nullzins-Politik hat die Wirtschaftstätigkeit abgewürgt und die Zero-Covid-Politik des Landes hat tiefe Spuren hinterlassen.
Wie konnte es so weit kommen? Brian Carlson (44), Leiter des Global Security Team des Thinktanks am Center for Security Studies (CSS), erklärt im Gespräch mit Blick: «In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich gezeigt, dass Xi bereit ist, ein gewisses Wirtschaftswachstum zu opfern, um im Gegenzug den Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas und seiner Person zu stärken.»
Das Land droht zu fallen – und zwar tief. Für Carlson muss nicht die Frage nach dem «Ob» und «Wann» gestellt werden – das sei klar –, sondern nach dem «Wie»: «Die Frage ist, ob es zu einer harten oder weichen Landung kommen wird.»
Leidet China am «Peak-Power-Syndrom»?
Denn nicht nur die Wirtschaft, auch die alternde Bevölkerung macht dem Land zu schaffen. Gemäss der Regierung gab es in 2021 rund 1,41 Milliarden Bürgern in China – der «Peak». Bereits ab diesem Jahr wird erwartet, dass die Bevölkerung abnimmt. Gemäss Berechnungen könnte dann die Bevölkerung bis ins Jahr 2080 auf unter eine Milliarde fallen. Die Konsequenz: Die Wirtschaft zerfällt weiter.
Im Hinblick auf die Sicherheitspolitik des Landes könnte dies verschiedene Auswirkungen haben. «Vielleicht zwingen Chinas innenpolitische Probleme das Land, sich nach innen zu wenden und seine aussenpolitischen Ambitionen einzuschränken, oder sie könnten die Führung veranlassen, auf internationaler Ebene selbstbewusst aufzutreten, um die Bevölkerung von den innenpolitischen Problemen abzulenken.»
Die US-Strategen Hal Brands und Michael Beckley argumentieren hier mit dem «Peak-Power-Syndrom»: Chinas verlangsamtes Wirtschaftswachstum, seine anhaltenden innenpolitischen Probleme, die wachsende Macht von Rivalen wie Indien und die Bemühungen anderer Länder, ein Gegengewicht zu Chinas Aufstieg zu bilden, führen dazu, dass Chinas Aufstieg zu Ende geht und seine Macht ihren Höhepunkt erreicht hat.
«Dies könnte dazu führen, dass China glaubt, es habe nur noch ein kleines Zeitfenster, um zu handeln, bevor sich die Machttrends gegen das Land wenden», warnt Carlson. «Wenn China aus der Verzweiflung heraus handelt, wird es gefährlich.»
Wirtschaftlich instabiles China wird unberechenbar
Die wirtschaftliche Unsicherheit Chinas könnte also dazu führen, dass das Land sich dazu gezwungen fühlt, Risiken einzugehen. «Man kann sich Szenarien vorstellen, in denen China aus Verzweiflung handeln könnte, weil es befürchtet, dass seine Macht ihren Höhepunkt erreicht hat.» Das Endziel: «Höchstwahrscheinlich, China als dominierende Macht in Asien und darüber hinaus zu etablieren.»
Geheimdienste haben davor gewarnt, dass China in den nächsten Jahren versuchen könnte, Taiwan gewaltsam zu erobern. «Ich denke, dass dies zu einer immer ernsteren Sorge werden wird.» Wie dämmt man dieses Risiko ein? «Die Schwierigkeit besteht darin, eine Abschreckung gegen China aufzubauen und China nicht zu einem kurzfristigen Angriff zu provozieren, wenn es befürchtet, dass sich das Fenster der Gelegenheit schliesst.»
«China kann nur sich selbst helfen»
Für eher unwahrscheinlich hält Peter Bachmann (49), Leiter der Schweizer Handelskammer in Shanghai, einen Kriegsausbruch. Zu Blick sagt er: «Sollte ein Krieg ausbrechen, so würde die Kommunistische Partei die Unterstützung in der Bevölkerung verlieren, und zudem international isoliert werden.» Ausländische Firmen würden sich aus China zurückziehen, es gäbe Millionen von arbeitslosen Chinesen – das würde sich auf die Supply Chain nicht nur in China, sondern auf der ganzen Welt auswirken.
Die Lösung zum China-Problem? China müsse zu seiner alten Stärke zurückfinden. «Zurzeit hat die Ideologie der Kommunistischen Partei ganz deutlich Überhand genommen», so Bachmann. «Die wirtschaftliche Entwicklung und das wirtschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung sowie gemeinsame Interessen mit den Nachbarstaaten und der internationalen Gemeinschaft sollten Priorität haben.» Die Wirtschaft müsse vor der Ideologie stehen.
«Wir wissen, dass es ohne China nicht geht. Die Welt ist zu abhängig von China geworden.» Man müsse daher versuchen, China weiterhin einzubinden und als Partner dabei zu haben. «Doch schlussendlich kann nur China sich selbst helfen.»