Gordon Brown (71) sieht schwarz – Millionen von Briten würden frieren und Hunger leiden müssen
Ex-Premier warnt vor «Winter in tiefer Armut»

Es ist noch nicht einmal Herbst, und schon können Millionen von Briten ihre Gas- und Stromrechnungen nicht mehr zahlen. Eines der am meisten entwickelten Länder schlittert mit Vollgas in eine Krise. Blick erklärt die Zusammenhänge.
Publiziert: 15.08.2022 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2022 um 09:10 Uhr
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Der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown warnt vor einem «Winter in tiefer Armut».
Foto: KEYSTONE/EPA/WILL OLIVER
Guido Felder

Der Krieg in der Ukraine hat in Westeuropa Auswirkungen auf die Strom- und Gaspreise. Besonders hart trifft es die Briten, wo im Winter Millionen Haushalte frieren dürften. Laut dem Verbraucherportal Uswitch sitzen zurzeit sechs Millionen Kunden auf durchschnittlich 206 Pfund an offenen Rechnungen, was 235 Franken entspricht.

Diese Zahl dürfte explodieren, wenn die Heizperiode beginnt und im Oktober sowie im Januar 2023 der staatliche Preisdeckel für Gas und Strom in zwei Stufen massiv angehoben wird. Dem Institut Cornwall Insight zufolge werden die jährlichen Heizkosten für einen Haushalt dann auf bis zu 4266 Pfund (4870 Franken) ansteigen. Die englische Zentralbank prognostiziert eine Inflation von fast 14 Prozent, so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr.

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Gordon Brown (71), der von 2007 und 2010 Premierminister der Labour-Party war, sieht deshalb schwarz. In der Sonntagszeitung «The Observer» richtet er einen eindringlichen Appell an die Regierung von Boris Johnson (58).

Brown warnt: «Eine finanzielle Zeitbombe wird für Familien im Oktober explodieren, wenn eine zweite Runde von Kraftstoffpreiserhöhungen innerhalb von sechs Monaten Schockwellen durch jeden Haushalt schickt und Millionen über die Klinge springen lässt.»

Würden die regierenden konservativen Tories nicht umgehend ein Notbudget beschliessen, dann «verdammen sie Millionen von schwachen und unschuldigen Kindern und Rentnern zu einem Winter in tiefer Armut», schreibt Brown.

Viele suchen gratis Essen

Immer mehr Briten sind auf Hilfe angewiesen, inzwischen trifft es auch die Mittelschicht. So erhalten die meisten Haushalte einen einmaligen Rabatt auf die Energiekosten von 200 Pfund (228 Franken), den sie aber innert fünf Jahren zurückzahlen müssen. Zudem bekommen sie einen einmaligen Steuernachlass von 150 Pfund (171 Franken), besonders betroffene Haushalte noch weitere Unterstützung.

Die Tafeln, die kostenloses oder verbilligtes Essen abgeben, verzeichnen eine enorme Nachfrage. Vor allem gefragt sind Lebensmittel, die man nicht kochen muss – damit man kein teures Gas für die Zubereitung braucht.

Auch das Independent Food Aid Network, das einen Viertel aller 2200 Tafeln vertritt, warnt vor Armut, Not und Hunger. Man sei «zutiefst besorgt über das Ausmass des Leides».

Kluft zwischen Arm und Reich

Dass Grossbritannien in die Armut stürzt, hat mehrere Gründe, die zum Teil einige Jahre zurückreichen und miteinander verkettet sind. Am Anfang stand die Finanzkrise 2008, die der damalige Tory-Premierminister David Cameron (55) mit einem drakonischen Sparkurs beenden wollte. Der hat allerdings die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrössert und dazu beigetragen, dass die Briten 2016 für einen Austritt aus der EU stimmten.

Der Brexit verschlechterte die Situation weiter, weil es wegen Wegfalls der Freizügigkeit an Arbeitskräften mangelte. Besonders schwer getroffen wurde Grossbritannien von der Corona-Pandemie, wo die finanziellen Ausfälle wegen der Massnahmen gross, die gesundheitlichen Vorteile jedoch gering gewesen sind.

Johnson vor Abgang

Und nun treibt der Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Lieferstopp von russischem Gas die Heizpreise in Europa in die Höhe. Brown, weitere Politiker und auch die Tafeln fordern Boris Johnson auf zu handeln. Doch der regiert nur noch auf Sparflamme, hat er doch auf Druck seiner eigenen Partei seinen Rücktritt angekündigt.

Bis 2. September entscheiden die Konservativen, ob Ex-Finanzminister Rishi Sunak (42) oder Aussenministerin Liz Truss (47) Johnsons Nachfolge als Premier übernehmen soll. Das Erbe ist nicht einfach und geht um grundlegende Dinge: nämlich, ob in einem der am meisten entwickelten Länder der Welt Menschen frieren und hungern müssen.


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