Hoch über dem Boden schwebt die Kabine der Bergstation entgegen. Ein Kind und ein älterer Herr geniessen die Aussicht, blicken über den Wald ins Tal hinunter. Das Kind ist Eitan, der einzige Überlebende des Dramas. Das Foto, aufgetaucht auf Facebook, zeigt die Fahrt mit der Seilbahn auf den Monte Mottarone, wie sie zuvor zehntausende andere Leute erlebt haben. Eine Tragödie scheint weit weg – doch die herrliche Aussicht ist das letzte, was die Passagiere sehen. Momente später sind 14 Ausflugs-Touristen tot.
Auch zwei Tage nach dem Unglück am italienischen Ufer des Lago Maggiore laufen die Untersuchungen zur Unglücksursache noch immer auf Hochtouren. Spezialisten untersuchen die Unfallstelle auf der Suche nach möglichen Hinweisen. Die grosse Frage bleibt: Wie konnte es trotz bestehenden Sicherheitsmassnahmen zu einer solchen Tragödie kommen?
Nach dem Unfall zeigte sich schnell: Das Zugseil der beiden Kabinen ist gerissen. Tritt dieser unwahrscheinliche Fall ein, bringen eingebaute Fangbremsen die Kabine zum Stehen – normalerweise! Am Monte Mottarone versagen die Bremsen. Die Kabine stürzt ungebremst zu Boden.
Wurden Fangbremsen absichtlich blockiert?
Ein technisches Problem ist wahrscheinlich. Aber: Wie die Zeitung «La Repubblica» berichtet, könnte das Unglück auch auf menschliches Versagen zurückzuführen sein. So verbreitete sich in Stresa das Gerücht, die Betreiber hätten die Fangbremsen blockiert. Mit speziellem Werkzeug, einer sogenannten «Gabel», lassen sich die Bremsen ausser Kraft setzen.
Während des laufenden Betriebs ist die Anwendung dieser Gabeln strengstens verboten. Diese werden lediglich bei Wartungsarbeiten oder bei Fahrten ohne Passagiere eingesetzt, sagt Seilbahn-Experte Piergiacomo Giuppani in der Zeitung. «Sollten diese während des laufenden Betriebs eingesetzt worden sein, wird man die Gabeln an der Unglücksstelle finden.»
Genaue Stelle des Risses bleibt unklar
Unklar bleibt, an welcher Stelle das Zugseil genau gerissen ist. Denkbar seien zwei Möglichkeiten, sagt Giuppani: «Entweder ist das Seil direkt an der Verbindung zur Kabine gerissen oder es gab eine sehr hohe Belastung auf das Seil in der Station.»
Als Schwachpunkt der Seilbahnen gilt die Verbindung zwischen der Kabine und dem Zugseil. Diese Stelle werde jeden Morgen vor dem Betrieb geprüft und regelmässig geröntgt. «Dennoch ist es nicht auszuschliessen, dass sich bei der Halterung irgendetwas gelöst hat.»
Stahlseile fast 20 Jahre alt
Weil je nach Anzahl der Passagiere oder äusseren Bedingungen unterschiedlich viel Druck auf die Seile ausgeübt wird, wird der Druckunterschied mit Gewichten in der Bergstation ausgeglichen. «Es ist daher auch denkbar, dass plötzlich zu viel Gewicht auf das Seil gegeben wurde und es deshalb gerissen ist», sagt Giuppani.
Bereits am Pfingstmontag stellte sich heraus, dass das Stahlseil der Gondel fast 20 Jahre alt war. Berno Stoffel, Präsident von Seilbahnen-Schweiz, sagt aber, dies sei kein ungewöhnlich hohes Alter: «Ein Stahlseil kann gut 20 Jahre und mehr halten. Es kommt darauf an, wie es beansprucht wird.»
Sämtliche Seile würden periodisch überprüft. Üblicherweise alle drei, dann alle zwei Jahre und mit zunehmendem Alter jährlich. «Wenn ein Seil zeitlich sehr eng kontrolliert wird, ist es wahrscheinlich nahe am Lebensende. Das heisst, dass man es – unabhängig von diesem Fall hier – wohl bald ersetzen muss», sagt Stoffel.
Die genauen Ursachen zum Absturz bleiben also vorerst im Dunklen. Wie «La Stampa» enthüllt, stellten die Behörden nun aber die Aufzeichnungen der Videokameras sicher. Die Behörden erhoffen sich, im Video weitere Hinweise zur Ursache der Tragödie zu finden.
Für die Angehörigen der Opfer ist das ein kleiner Lichtblick in den dunklen Tagen. Der Schmerz sitzt tief – und es bleibt die Frage, weshalb ihre Angehörigen an diesem sonnigen Pfingstsonntag im Norden Italiens ihr Leben lassen mussten. (zis)