Hyperschallraketen, Phosphorbomben, Atomsprengköpfe: Das Waffenarsenal der Russen ist gross und zerstörerisch. Nun hat Präsident Wladimir Putin (69) eine weitere heimtückische Waffe gezogen: den Hunger.
In der Ukraine halten die Russen 20 Millionen Tonnen Getreide mit Absicht zurück – den grössten Teil davon in der Hafenstadt Odessa. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41) wirft dem Kreml vor, die Blockade von Getreideexporten als Kriegswaffe einzusetzen.
Baerbock sagte am Mittwoch in New York (USA): «Durch die Blockade ukrainischer Häfen, durch die Zerstörung von Silos, Strassen und Eisenbahnen und insbesondere der Felder von Bauern hat Russland einen Kornkrieg begonnen, der eine globale Nahrungsmittelkrise anfacht.»
Von ukrainischen Exporten abhängig
Von der Blockade sind weltweit vor allem die Ärmsten betroffen. «Länder wie Ägypten, Kenia, der Südsudan, der Libanon und viele andere Staaten waren bislang direkt oder indirekt stark von russischen und ukrainischen Exporten abhängig», sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe Mathias Mogge (58). «Diese Länder erhalten jetzt nicht die bestellten Mengen oder müssen dafür sehr viel mehr bezahlen.»
Besonders betroffen ist auch Somalia, das seit zwei Jahren eine aussergewöhnliche Dürre erlebt. Somalias Premierminister Mohamed Hussein Roble (58) sagte vor kurzem in einem Gespräch über den Ukraine-Krieg gegenüber Blick: «Die Welt hat uns vergessen. Wir erwarten eine Hungersnot.»
Es ist nicht das erste Mal, dass Moskau Hunger als tödliche Waffe einsetzt. 1932/33 plünderten die Sowjets die Felder und Häuser in der Ukraine. Die ukrainische Bevölkerung litt unter einer gigantischen Hungersnot, es kam sogar zu Kannibalismus.
Je nach Schätzung starben damals drei bis sieben Millionen Menschen an Hunger. Die Ukrainer setzen sich heute dafür ein, dass der sogenannte Holodomor («Mord durch Hunger») als Genozid anerkannt wird.
«Vorsätzliches Aushungern»
Uno-Generalsekretär António Guterres (73) fordert Russland auf, den extrem wichtigen Getreideproduzenten Ukraine wieder an den Weltmarkt zu bringen – genauso wie von Russland und Belarus produzierte Lebens- und Düngemittel. Der von Russland begonnene Krieg drohe viele Millionen Menschen in eine Ernährungsunsicherheit zu stürzen und eine Krise auszulösen, «die Jahre andauern könnte».
Zusammen produzieren die Ukraine und Russland laut Guterres fast ein Drittel des Weizens und der Gerste der Welt und die Hälfte des Sonnenblumenöls.
Mehr zur drohenden weltweiten Hungersnot
«Vorsätzliches Aushungern» ist laut der Welthungerhilfe kein neues Phänomen. «Es ist eine vor allem im Mittelalter verbreitete Praxis», schreibt die Organisation in ihrem Fachjournal. Neu sei aber, dass diese Praxis in aktuellen Konflikten – etwa in Myanmar, Syrien und Südsudan – eingesetzt werde und für das Wiederauftreten von Hungersnöten und den Anstieg des Welthungers verantwortlich sei.
Millionen von Kindern stehen vor dem Tod
Den Vereinten Nationen zufolge hat der weltweite Hunger einen neuen Höchststand erreicht: «In nur zwei Jahren hat sich die Zahl der Menschen mit starker Ernährungsunsicherheit verdoppelt, von 135 Millionen vor der Pandemie auf heute 276 Millionen», sagte Guterres. Mehr als eine halbe Million Menschen sei vom Hungertod bedroht – fünfmal mehr als noch 2016. Neben Corona habe die Klimakrise und schliesslich auch der Ukraine-Krieg die Situation zuletzt verschärft.
World Vision hat am Donnerstag den «höchsten Katastrophenfall» aufgrund der weltweiten Hungerkrise ausgerufen. «Millionen Kinder sind akut unterernährt und könnten in den nächsten Wochen verhungern», schreibt die Organisation in einer Mitteilung.
Putin hat es in der Hand, mit der schnellen Freigabe der blockierten Lebensmittel die Not zu lindern.