Die Strassen brennen, Steine fliegen, ein zorniger Mob attackiert Autos mit Insassen, schlägt Fensterscheiben ein – und alle brüllen wütend durch die Nacht. Solche Szenen gehörten in der vergangenen Woche in vielen Städten Israels zur Tagesordnung. Tausende von wütenden arabischen Israelis zogen in der Nacht auf Mittwoch durch Akko, Ramle, Bat Yam, Jerusalem oder Yaffa. In der Stadt Lod, 25 Minuten von Tel Aviv entfernt, dem aktuellen Brennpunkt des Landes, stehen Synagogen in Flammen. Die Polizei musste zahlreiche jüdische Anwohner aus ihrem Zuhause eskortieren, damit sie dem Mob nicht zum Opfer fielen. Der Bürgermeister der Stadt sprach von einer «Kristallnacht». Die Bilder erinnern an Bürgerkrieg.
Auf den arabischen folgt der jüdische Angriff
Wie konnte die Situation derart eskalieren? Diese Frage stellt sich in Israel derzeit jeder. Seit den Krawallen auf dem Tempelberg zwischen der israelischen Polizei und betenden Palästinensern ist die Lage mehr als angespannt. Als Folge feuerten Hamas und Islamischer Dschihad in Gaza innert weniger Tage über 2000 Raketen auf Israel ab. In der Folge operiert Israel in Gaza und bombardiert Hunderte Ziele der Hamas.
Auf beiden Seiten sterben Zivilisten, auch Kinder. Hunderte sind verletzt. Dass eine neue Eskalation – man kann es bereits Krieg nennen – den Zorn der arabischen und der jüdischen Bevölkerung im Land entfacht, ist nachvollziehbar. Aber die Szenen, insbesondere diejenigen aus Lod, sind von beispielloser Intensität und Brutalität.
Der Nachbar von gestern ist heute Feind
Bei allen genannten Städten handelt es sich um Koexistenz-Städte, wo arabische und jüdische Israelis friedlich zusammenlebten. Da teilen sich Araber und Juden ein Zuhause. Und es ist keine Scheinkoexistenz. Sie ist echt. Oder: Sie war es.
Denn seit den Ausschreitungen überschatten grausige Berichte dieses Zusammenleben: Jüdische Anwohner berichten, wie ihre arabischen Nachbarn sie während des Raketenalarms aus dem Hausbunker warfen oder ihre Autos anzündeten. Dieselben Nachbarn, mit denen man am Tag zuvor noch ein nettes Wort gewechselt oder Kaffee getrunken hatte. Auf einmal lebt der Feind hinter der Tür nebenan. Ein mulmiges Gefühl, mit dem man jetzt lebt.
In der Nacht auf Donnerstag dann der nächste Schlag: Jüdische Rechtsextremisten attackieren arabische Läden und Zivilisten auf der Strasse. Die Seite ist zwar die andere, die Bilder jedoch dieselben, die Brutalität und Scherben auch. Der organisierte Mob ging gezielt auf arabische Bürger vor, schrie: «Tod den Arabern.» Ein israelischer Fernsehkanal war mit der Kamera vor Ort, als der Mob einen arabischen Mann brutal zusammenschlägt. Bilder, die die Nation noch immer schockiert zurücklässt.
Das Misstrauen ist allgegenwärtig
In Israel herrscht längst nicht nur Krieg gegen Gaza und die Hamas, sondern einer auf den Strassen. Politiker von rechts bis links, arabische und jüdische, verurteilen die Gewalt und rufen zur Mässigung auf. Vergebens. Der Mob ist ausser Kontrolle. Das letzte Mal, als Israel Vergleichbares erlebt hatte, war vor 21 Jahren: Die sogenannten Oktober-2000-Ausschreitungen gelten als Beginn der Zweiten Intifada.
Das Misstrauen zwischen Juden und Arabern ist derzeit so gross wie seit der letzten Intifada nicht mehr – und dieses Mal womöglich gross genug, dass eine Normalität, wie sie noch vor zwei Wochen stattgefunden hat, lange nicht mehr möglich sein wird. Es könnte Jahre dauern, bis sich die Beziehung zwischen Juden und Arabern, vor allem in den Brennpunktstädten, wieder entspannt, wenn überhaupt. Es ist realistisch davon auszugehen, dass in den letzten Tagen ein irreparabler Schaden entstanden ist, der eine Koexistenz, wie man sie bis anhin kannte, für die Menschen dort unmöglich macht. Wie kann man solche Nächte vergessen? Nächte, in denen man sich in seinem eigenen Zuhause um sein Leben fürchten musste?
Seit Montag eskaliert der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern wieder. Die Terrorgruppe Hamas hat nach Angaben des israelischen Militärs mittlerweile mehr als 2300 Raketen auf Israel abgefeuert. Israel reagierte mit Luftschlägen und Bodentruppen. Sie haben mehr als 650 Ziele im Gazastreifen angegriffen.
Dem Konflikt fielen auf beiden Seiten Zivilisten zum Opfer. In Gaza töteten die Auseinandersetzungen nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang 140 Menschen und verletzten 1000. In Israel starben durch den Raketenbeschuss bislang zehn Menschen, 636 wurden verletzt. Auch an der israelisch-libanesischen Grenze kam es zu Zusammenstössen.
Ein Waffenstillstand ist noch nicht in Sicht. Ein Vermittlungsangebot Ägyptens hat Israel abgelehnt. Vonseiten der israelischen Schutzmacht USA traf am Freitag Spitzendiplomat Hady Amr (54) in Tel Aviv ein. Er soll sich mit beiden Seiten treffen.
Seit Montag eskaliert der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern wieder. Die Terrorgruppe Hamas hat nach Angaben des israelischen Militärs mittlerweile mehr als 2300 Raketen auf Israel abgefeuert. Israel reagierte mit Luftschlägen und Bodentruppen. Sie haben mehr als 650 Ziele im Gazastreifen angegriffen.
Dem Konflikt fielen auf beiden Seiten Zivilisten zum Opfer. In Gaza töteten die Auseinandersetzungen nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang 140 Menschen und verletzten 1000. In Israel starben durch den Raketenbeschuss bislang zehn Menschen, 636 wurden verletzt. Auch an der israelisch-libanesischen Grenze kam es zu Zusammenstössen.
Ein Waffenstillstand ist noch nicht in Sicht. Ein Vermittlungsangebot Ägyptens hat Israel abgelehnt. Vonseiten der israelischen Schutzmacht USA traf am Freitag Spitzendiplomat Hady Amr (54) in Tel Aviv ein. Er soll sich mit beiden Seiten treffen.
Irreparabler Schaden auf beiden Seiten
Nun stellt sich ein ganzes Land die Frage, wie man nach den Krawallen und nach dem aktuellen Krieg mit Gaza wieder in eine Normalität zurückfindet. Und wieder, wie es so weit kommen konnte. Natürlich hat sie die Anspannung zwischen Arabern und Juden die letzten Wochen hochgeschaukelt. Aber dass die Situation derart ausser Kontrolle gerät, ist beispiellos – und sie erinnert an Szenen aus einem Apokalypse-Film. Dass niemand Antworten auf die brennenden Fragen nach dem Warum und dem Wie-weiter hat, macht alles noch schwerer verdaulich, als es sowieso schon ist.
Mit dem Friedensvertrag von Premierminister Benjamin Netanyahu (71) mit den Vereinten Arabischen Emiraten im letzten Jahr veränderte sich das Bild von Arabern für viele jüdische Israelis grundsätzlich. Zehntausende von ihnen strömten seither nach Dubai und schwärmen bis heute von der Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Einheimischen und von der Schönheit des Landes. Und auch umgekehrt war das Bild eines scheinbar neuen Nahen Ostens erfrischend. Es roch nach Hoffnung und Wandel.
Die Krawalle in Israel stellen diesem Fortschritt ein Bein. Denn es wird viele Israelis geben, die sich plötzlich nicht mehr sicher fühlen, ein arabisches Land zu bereisen oder Araber als Geschäftspartner zu involvieren.
Auch politisch ein Rückschritt
Doch die Ausschreitungen haben nicht nur die Bevölkerung zerrüttet, sondern auch die Möglichkeit einer neuen Regierungskoalition: Der Mitte-links-Politiker Yair Lapid (57, «Jesh Atid») befand sich mitten in vielversprechenden Gesprächen, vor allem mit der arabischen Partei Ra’am unter Mansour Abbas (47) und der rechten Yamina unter Naftali Bennett (49).
Es hätte eine Koalition entstehen können, so vielfältig wie das Land selbst. Ein solches Bündnis hätte ein Triumph für die Diversität Israels bedeutet. Und nicht zuletzt hätte es die Allianz werden können, die Netanyahu nach zwölf Jahren in Folge ablöst. Sowohl Abbas als auch Bennett haben sich letzte Woche aufgrund der Krawalle aus den Koalitionsgesprächen zurückgezogen – und das, obwohl beide öffentlich die gewalttätigen Ausschreitungen verurteilten.
Eine Handvoll Nächte hat gereicht, um Israel, seine Bevölkerung und seine Politik für lange Zeit, wenn nicht für Jahre zu prägen und zu verändern. Kein Krieg von aussen hätte jemals einen derartigen Schaden anrichten können wie diese Explosion von innen, die noch lange nachbrennen wird.