Eine Gruppe deutscher Aerosol-Forscher sagt: «Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass drinnen die Gefahr lauert.» Man müsse Treffen in Innenräumen so kurz wie möglich gestalten, häufig Stoss- oder Querlüften, effektive Masken in Innenräumen tragen, sowie Raumluftreiniger und Filter überall dort installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen, fordern die Experten in einem Brief an Bundesregierung und die Landesregierungen.
Die Kombination dieser Massnahmen würde zum Erfolg führen. «Wird das entsprechend kommuniziert, gewinnen damit die Menschen in dieser schweren Zeit zugleich ein Stück ihrer Bewegungsfreiheit zurück», schreiben die Unterzeichner, zu denen der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, Christof Asbach und der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, gehört.
Geschlossene Biergärten bringen kaum was
Bisher sei es leider so gewesen, dass «wesentliche Erkenntnisse unserer Forschungsarbeit nicht in praktisches Handeln übersetzt werden», kritisieren die Aerosol-Forscher. Denn im Freien würden Übertragungen äusserst selten vorkommen, lägen «im Promille-Bereich». Debatten über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, Maskentragen beim Joggen oder Radfahren seien daher kontraproduktiv.
Solche Massnahmen seien «eher symbolischer Natur ohne nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen». In Innenräumen hingegen würde auch dann eine Ansteckung stattfinden, wenn man sich nicht direkt mit jemandem trifft, sich aber ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten hat, warnen sie.
Auch die Ausgangssperren bringen aus Sicht der Wissenschaftler kaum etwas. «Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen», schreiben sie. «In der Fussgängerzone eine Maske zu tragen, um anschliessend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen.»
Unterschiedliche Meinungen zu Aerosolen
Der Einfluss von Aerosolen auf die Corona-Infektion wurde in den vergangenen Monaten zahlreich untersucht. Das deutsche Robert Koch-Institut bezeichnet die «respiratorische Aufnahme von virushaltigen Flüssigkeitspartikeln» als Hauptübertragungsweg für Sars-CoV-2. Die Meinung wird häufig geteilt. Anders sieht es allerdings ein Team der Harvard Medical School. In einer Studie wird argumentiert, dass die Virus-Übertragung über Aerosole nicht der dominante Infektionsweg für das Coronavirus sein könne. So stecke ein Erkrankter weniger Menschen an als bei anderen von Aerosolen übertragenen Krankheiten.
Umstritten ist auch, wie lange Aerosole in der Luft bleiben. In einem Experiment wiederholten Testperson in einem geschlossenen Raum, 25 Sekunden lang den Ausdruck «Stay healthy!». Wegen der dann gezählten Mikro-Tropfen gehen US-Wissenschaftler davon aus, dass eine corona-infizierte Person beim normalen Sprechen im Schnitt pro Minute rund tausend virusbelastete Tröpfchen ausstösst, die etwa acht Minuten lang in der Raumluft schweben.
Eine andere Studie kommt jedoch zum Ergebnis, dass sich die Partikel bis zu drei Stunden lang in der Luft nachweisen lassen. Allerdings experimentierten die Forscherinnen und Forscher mit künstlich hergestellten Aerosolen, die sich «grundlegend von hustenden/niesenden Patienten mit Covid-19 im normalen gesellschaftlichen Umgang unterscheidet», wie das Robert Koch-Institut hervorhebt. Ob und wie schnell Aerosole absinken, hänge auch von Faktoren wie Raumtemperatur oder Luftfeuchtigkeit ab. (vof)