Israel hat am Mittwoch die Bildung einer Notstandsregierung bekannt gegeben. Ein Teil des Kabinetts wird sich der «Kriegsführung» gegen die Hamas widmen, ein anderer Teil wird das reguläre Regierungsgeschäft übernehmen.
Die Notstandsregierung umfasst insgesamt 14 Politiker. Sie unterteilt sich in zwei Aufgabenbereiche.
Grösstes Debakel seit 1973
Im Kriegskabinett sitzt geballte militärische Erfahrung: Neben Regierungschef Benjamin Netanyahu (73) werden Verteidigungsminister Yoav Gallant (64) und Oppositionspolitiker Benny Gantz (64), der von Mai 2020 bis Dezember 2022 israelischer Verteidigungsminister war, die Entscheidungen im Kampf gegen die Hamas treffen. Ergänzt wird das Trio durch zwei Beobachter, den ehemaligen General Gadi Eisenkot (63) und Ron Dermer (52), einen engen Berater Netanyahus. Ferner steht die Tür für Oppositionsführer Yair Lapid (59) von der Partei Yesh Atid noch offen. Eine Frau fehlt im Kriegskabinett.
Wichtige andere Entscheidungen, wie etwa die umstrittene Justizreform, werden vorerst aufgeschoben. Fünf Ministerinnen und Minister ohne spezifische Portfolios sollen im Sicherheitskabinett die weiteren Regierungsgeschäfte leiten. Allerdings werden für die Dauer der Notstandskoalition keine Gesetze verabschiedet, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, so die Absprache. Netanyahu und Co. können das reguläre Regierungsgeschäft also aktuell ausklammern und sich ganz der Reaktion auf den Überfall der palästinensischen Terrororganisation widmen.
Zum Sicherheitskabinett zählt der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir (47), der aber nicht an Entscheidungen zur Kriegsführung beteiligt sein wird. Der als Hetzer und Krawallmacher bekannte Minister gilt in militärischen Fragen als unerfahren. Er hatte gefordert, über die mehr als 100 im Gazastreifen gefangen gehaltenen Geiseln hinwegzusehen und einfach alles platt zu machen. Stattdessen werden sich die Ex-Militärs genau überlegen, was sie ihrer Truppe zumuten und wie weit sie sich über das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung hinwegsetzen wollen.
Staatschef Netanyahu sieht sich für den Angriff vom vergangenen Samstag Kritik ausgesetzt. Regierung, Militär und Geheimdienst waren von der Attacke überrascht worden. Netanyahu präsentierte sich stets als Garant von Israels Sicherheit, hat jetzt aber das grösste Debakel seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 zu verantworten. In einer heiklen Situation muss er Vertrauen zurückgewinnen – keine einfache Aufgabe.
Verantwortung lastet auf mehreren Schultern
Netanyahu hat die Zerschlagung und Entwaffnung der Hamas als Ziel ausgegeben. Verteidigungsminister Gallant kündigte am Mittwoch eine Bodenoffensive an, ausserdem führt die israelische Luftwaffe laufend Angriffe aus der Luft aus. Die Bombardierung des Gazastreifens allein wird nicht ausreichen, um Netanyahus Ziel der Zerschlagung der Hamas zu erreichen. Die Bodenoffensive birgt hohe Risiken. Im dicht besiedelten Gazastreifen drohen hohe Verluste. Bislang hatte sich Netanyahu davor gescheut, Bodentruppen auf das Palästinenser-Gebiet zu entsenden.
Der Druck ist hoch. Netanyahus politisches Überleben hängt am Verlauf der Offensive. Mit der Einbindung der Opposition ist die Verantwortung jetzt zumindest auf mehreren Schultern verteilt.
Gegner Netanyahus werfen ihm immer wieder vor, den eigenen Machterhalt über das Wohl des Volkes zu stellen. Vereinbart wurde, dass die Notstandsregierung nach Ende des Kriegs gegen die Hamas sofort aufgelöst wird. Von erheblicher Bedeutung für Netanyahu wird sein, wer im Anschluss den Jubel der Bevölkerung einheimst.