Bislang griff Israel den Gazastreifen grösstenteils aus der Luft an. Das soll sich nun ändern. Am Mittwoch kündigte das Militär eine Bodenoffensive an. Am Donnerstag gab es bekannt, sich die Tunnel der Hamas vornehmen zu wollen.
«Die Hamas hat in den letzten 20 Jahren, seit sie die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen hat, ein Tunnel-Netzwerk von Gaza City bis nach Chan Yunis und Rafah gebaut», sagt Jonathan Conricus, Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte, in einer Videobotschaft.
Das israelische Militär betrachtet den Gazasteifen in zwei Ebenen. Der Boden sei «eine Schicht für die Bürger», die Tunnel-Ebene sei «nur für Hamas und andere Terroristen gedacht, damit sie weiterhin Raketen auf Israel abfeuern, Operationen planen und Terroristen in Israel einschleusen können». Das israelische Militär plant deshalb, die Tunnel zu zerstören. Conricus droht: «Unsere Bodentruppen treffen Vorbereitungen für die nächste Phase des Krieges, die kommen wird, wenn der Zeitpunkt geeignet ist. Was auch immer es ist: Wenn es der Hamas gehört, werden wir es zerstören.»
Drei Arten von Tunnel
Die Hamas arbeitet seit den 90er-Jahren an ihrem hochkomplexen Tunnel-Netzwerk, das von Tunnelarbeitern gegraben wird – einer der am besten bezahlten Jobs im Gazastreifen. Tunnelarbeiter werden als Märtyrer verehrt, wenn sie bei der Arbeit ums Leben kommen. Denn für die Hamas erfüllen die Tunnel drei wichtige Funktionen.
Waffenschmuggel
Die ersten Ausgrabungen dienten dem unbemerkten Schmuggel von Waffen und Handelsgütern von Ägypten nach Gaza. Sie führten von Rafah bis ins Nachbarland. Es wird angenommen, dass es gegen Mitte der 2000er rund 2500 derartige Tunnel gab, berichtet die Nahost-Website «The Tower».
Verteidigung
Weitergehend wurden Verteidigungstunnel im Gazastreifen gegraben, die als Kommandozentralen und Waffenlager dienen. Viele dieser Tunnel liegen direkt unter Gaza City. Sie ermöglichen es der Hamas, sich unbemerkt zu bewegen und Lager zu verstecken.
Angriff
Dann gibt es noch die sogenannten «Terror-Tunnel». Sie sollen Hamas-Kämpfer unbemerkt nach Israel schleusen, um dort Angriffe durchzuführen oder Geiseln festzunehmen. Bei allen Tunneln werden die Ein- und Ausgänge meist zwischen Schulen, Moscheen, Krankenhäusern und anderen zivilen Gebäuden versteckt, gibt das israelische Militär an.
Bis zu 70 Meter tief
Wie viele Tunnel es genau gibt, ist unklar. Experten gehen aber davon aus, dass die Gesamtlänge etwa 480 Kilometer beträgt. Ebenso wird angenommen, dass die Tunnel im Schnitt rund einen Kilometer lang und maximal 40 Meter tief sind. Viele Tunnel sind ungefähr einen Meter breit und zwei Meter hoch. Manche Tunnel können sogar Fahrzeuge schleusen.
Der tiefste je aufgespürte Tunnel wurde im Oktober 2020 entdeckt. Er verlief 70 Meter unter dem Boden und verfügte über Nischen, in denen Munition oder Verpflegung gelagert werden konnte. Es wird angenommen, dass die Hamas jahrelang an dem Tunnel arbeitete und ihn als Terror-Tunnel einsetzen wollte. Der Tunnel wurde allerdings wenige Meter vor der israelischen Grenze entdeckt – bevor er fertiggestellt wurde.
Ein weiterer Tunnel wurde 2013 entdeckt. Er lag 18 Meter unter dem Boden und war 1,8 Kilometer lang. Der Tunnel führte in den israelischen Kibbuz Ein Hashlosha und wurde aus rund 25'000 Betonplatten geformt. Er verfügte über Strom und war mit Lebensmitteln ausgestattet, die die Hamas mehrere Monate lang versorgen konnten. Israel schätzt, dass der Bau rund 10 Millionen Dollar kostete.
«Neue Strategie im Kampf gegen den Feind»
Medienberichten zufolge hat die Hamas seit ihrer Machtübernahme 2007 rund 1300 Tunnel zu einem Preis von rund 1,1 Milliarden Franken gebaut. Für die Gruppe eine strategisch wichtige Investition, wie Mitglied Yahya al-Sinwar einst erklärte: «Heute sind wir diejenigen, die bei den Israelis einmarschieren.» Der Hamas-Führer Ismail Haniyza betonte zudem 2014: «Mit diesen Tunneln wird eine neue Strategie im Kampf gegen den Feind eingeführt.»
Obwohl Israel schon seit Jahren versucht, die Tunnel zu zerstören und 2021 rund 100 Kilometer der Tunnel beseitigte, gibt die Hamas ihr Netzwerk nicht auf. Werden Tunnel zerstört, baut die Hamas neue. Hamas-Chef Chalid Maschal sagte bereits vor einigen Jahren: «Angesichts der Machtverhältnisse, die sich zugunsten Israels verschoben haben, mussten wir kreativ sein und innovative Wege finden. Die Tunnel waren eine unserer Innovationen.»