Kurz vor seiner Abreise aus New York hat sich Steven Straub (73) die ukrainische Flagge und die Worte «Free Ukraine» auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Der 73-jährige Vietnamkriegs-Veteran will in der Ukraine gegen die Russen kämpfen. Vor fast vier Wochen kam Straub in Lwiw in der Westukraine an. Seit einigen Tagen ist er in der Hauptstadt Kiew, wo er sich als Freiwilliger bei der ukrainischen Nationalgarde gemeldet hat und nun eine Ausbildung absolviert.
An seinem freien Tag nehmen ukrainische Soldaten den Rentner mit auf eine Tour durch die Dörfer nordwestlich von Kiew, aus denen sich die russischen Truppen Ende März zurückgezogen haben. Die Männer sehen ausgebrannte Militärfahrzeuge, eine zerstörte Brücke, ein ehemals besetztes Haus, einen ehemaligen Kontrollpunkt und ein provisorisches Lager in einem Wald, in dem vor dem Abzug 1000 russische Soldaten stationiert waren.
Bei jedem Stopp lässt sich Straub erklären, was passiert ist. Der 73-Jährige, der Uniform, Schutzweste und eine schwarze Kappe mit der Aufschrift «Vietnam Veteran» trägt, hört konzentriert zu. «Es ist ganz anders als in Vietnam», sagt er an einem Granatenloch auf einer Strasse.
Ukrainer brauchen «viel, viel mehr Waffen»
Straub war 1968 und 1969 für 14 Monate in Vietnam. «Ich war im Dschungel. Ich habe keine Stadt gesehen, kein Gebäude, es gab nur Bäume und Elefantengras», sagt der Rentner, der nach seinem Militärdienst als Techniker an einer Schule in New York arbeitete und inzwischen in Florida lebt.
«Was mich hier überrascht hat, war die Moral», sagt Straub. In der Ukraine hätten alle Soldaten «eine sehr hohe Moral. Es ist unglaublich, ganz anders als in Vietnam». Die meisten US-Soldaten seien in Vietnam in den Krieg gezogen, um Geld zu verdienen. Den Ukrainern gehe es darum, «ihre Freiheit und ihr Land zu verteidigen», fährt er voller Bewunderung fort. Die US-Militärhilfe sei dabei eine grosse Hilfe, aber die Ukrainer bräuchten noch «viel, viel mehr Waffen».
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In einem Dorf hält der Konvoi kurz an. Die Soldaten verteilen Brot und Konservendosen an die Erwachsenen und Spielzeug und Süssigkeiten an die Kinder. Straub holt ein paar Geldscheine aus der Tasche, die drei ältere Damen lächelnd entgegennehmen.
«Ich bin bereit zu kämpfen, deshalb bin ich hierhergekommen»
Über sein Training bei der Nationalgarde sagt Straub: «Es ist hart, ich bin 73». Ein Nationalgardist mit dem Spitznamen Ferrari, der den Konvoi anführt, versichert, der Veteran sei «ein ausgezeichneter Soldat». Er wisse, «wie man mit einer Waffe umgeht» und sei nun bereit für das taktische Training. Nach seiner Ausbildung will Straub in die südukrainischen Hafenstadt Odessa. «Ich bin bereit zu kämpfen, deshalb bin ich hierhergekommen», sagt er.
Der Konvoi stoppt an einem Lieferwagen und einem Lada voller Einschusslöcher, die in der Nähe des verlassenen russischen Lagers am Rande eines Kiefernwalds stehen. Die Insassen der beiden Fahrzeuge wurden getötet. An einer Tür und einem Sitz sind noch Blutspuren zu sehen.
Der Anblick wühlt Straub auf, er will ein paar Minuten allein sein. Im Lada hat er ein Kinderbuch gefunden. «Es ist schrecklich», sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern.
Eine halbe Stunde später hat Straub sich wieder gefasst. Er ist mit den Ukrainern durch das verlassene Lager gelaufen und hat eine russische Militärmütze gefunden, die er sich oben auf seine Kappe setzt. «Sie könnte einem russischen General gehört haben», sagte er mit einem breiten Grinsen. (AFP)