Auf einen Blick
Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr regnete es am Dienstag iranische Raketen auf Israel. Der Angriff konnte durch den «Iron Dome», dem israelischen Luftverteidigungssystem, grösstenteils abgewehrt werden. Israel kündigte prompt Vergeltung an. Auch US-Präsident Joe Biden (81) äusserte sich am Dienstagabend zu der drohenden Eskalation in Nahost: «Lasst euch nicht täuschen: Die USA stehen voll und ganz hinter Israel.»
Es ist wenig überraschend, dass die USA auch in dieser schwierigen Situation Israel den Rücken freihalten. Bereits seit den 1960er-Jahren gehört Amerika zu den grössten Unterstützern Israels – über 300 Milliarden US-Dollar pumpten die USA seither in Israel. Warum unterstützen die USA Israel so bedingungslos? Historiker Klaus Hödl (61) hat Antworten.
USA handelt aus Eigennutz
Hinter der scheinbar bedingungslosen Unterstützung der USA für Israel steht an erster Stelle pure Eigennützigkeit. Dank Israel haben die USA in der Region immer einen Fuss in der Türe – ohne selbst vor Ort zu sein. Nur dank amerikanischer Hilfe verfügt Israel über das mächtigste Militär in der Region. Der ehemalige Präsident Lyndon B. Johnson (1908–1973) verpflichtete sein Land in den 1960er-Jahren dazu, Israels militärischen Vorsprung in der Region voranzutreiben. Damit legte er den Grundstein, der das israelische Militär bis heute konkurrenzfähig macht.
Mehr exklusive News zum Nahost-Konflikt
Unter US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) unterzeichneten die USA und Israel mehrere strategische Militärvereinbarungen. Beispielsweise stationierten die USA Waffen, die offiziell ihrem Militär gehörten, in Israel. Der Grund: Im Ernstfall kann Israel so schnell auf mächtige Waffen zurückgreifen. Denn, so die Überlegung der USA, ein militärisch starkes Israel kann auch helfen, gemeinsame Feinde in der Region zu bekämpfen.
Während des Kalten Kriegs half Israel, den sowjetischen Einfluss im Nahen Osten einzudämmen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die «Twin Towers» in New York stieg der strategische Wert Israels weiter an: Israel hatte bereits dazumal langjährige Erfahrung in der Terrorismusbekämpfung und ausserordentliche Geheimdienst-Fähigkeiten. Während des letzten Jahrzehnts arbeiteten die USA und Israel eng zusammen, um der Ausweitung des iranischen Einflusses in der Region entgegenzuwirken. Auch beim Versuch, das iranische Atomprogramm auszubremsen, arbeiteten die beiden Nationen zusammen – wenn auch mit unterschiedlichen Lösungsansätzen.
Beide Länder stehen für Freiheit
Aber wieso haben sich die USA ausgerechnet für Israel als Verbündeten in der Region entschieden? Experte Hödl erklärt: Die beiden Länder verbindet ein ähnliches Selbstbild, zudem teilen sie ähnliche Werte. «Beide sehen sich als ganz besondere Gesellschaft mit besonderem Auftrag. Es gibt viele Überschneidungen in der Mentalität.» Die USA schreiben sich die Freiheit gross auf ihr «Star-Spangled Banner» – Israel steht für die Freiheit des jüdischen Volkes. Hinzu kommt auch, dass Israel als einzige – wenn auch bedrohte – Demokratie im Nahen Osten gilt. Eine Demokratie militärisch zu unterstützen ist für die USA moralisch einfacher zu rechtfertigen, als beispielsweise einer Diktatur Zugang zu ihren Waffen zu geben.
Aus Sicht der USA hilft ein wehrhaftes Israel also auch dabei, demokratische oder westliche Werte in der Region zu verteidigen. Doch genau diese demokratischen Werte scheinen in Israel gerade in Gefahr zu sein – weshalb auch die augenscheinlich bedingungslose Unterstützung der USA zu bröckeln beginnt.
Die USA thematisieren die Zwei-Staaten-Lösung
«Es gibt immer mehr Bedenken gegenüber Israel seitens der USA», schätzt Hödl die aktuelle Situation ein. «Besonders, was die Demokratie in Israel betrifft.» Gemeint ist der Versuch der jetzigen Regierung, die Kompetenzen des Obersten Gerichtshofes zu beschneiden. Zudem haben die USA laut Hödl auch Interessen, die sich nicht mit jenen Israels decken. «Wenn man die Situation genau beobachtet, sieht man eine Entwicklung, dass die USA zunehmend abrückt von Israel und ganz einfach einen grösseren Blick auf die Region wirft.» Beispielsweise habe der US-Aussenminister Antony Blinken (62) immer wieder die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung für Palästina und Israel aufgebracht – auch gegenüber der israelischen Regierung. Eine Idee, die Israel natürlich stark missfällt.
Dass es dadurch zum ausgewachsenen Streit zwischen den beiden Ländern oder gar einem Zusammenbruch der amerikanischen Unterstützung kommt, hält Hödl allerdings für unwahrscheinlich. «Die Vorstellung, dass man die Israel-Hilfe so zurückfährt, wie das bei der Ukraine gefordert wird, ist fast unvorstellbar in den USA. Ganz einfach aus der grundsätzlichen amerikanischen Sympathie Israels gegenüber.»