Frauen haben Angst im Ausgang
Werden in britischen Clubs K.-o.-Tropfen gespritzt?

Zahlreiche Frauen in Grossbritannien haben sich in den vergangenen Monaten bei der Polizei gemeldet. Sie haben den Verdacht, dass ihnen K.-o.-Tropfen gespritzt wurden. Mehrere berichteten von verletzten Hautstellen, an denen sie das Eindringen einer Nadel vermuteten.
Publiziert: 14.12.2021 um 08:13 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2021 um 08:40 Uhr
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Zahlreiche britische Frauen haben sich nach Partys bei der Polizei gemeldet. Sie haben den Verdacht, dass ihnen K.-o.-Tropfen verabreicht wurden.
Foto: keystone-sda.ch

Ein kleiner Piks – und ein Alptraum beginnt. In Grossbritannien haben solche Berichte in den vergangenen Wochen für Angst und Unsicherheit gesorgt. Ziehen Unbekannte durch britische Clubs und machen junge Frauen bewusstlos, um sie vergewaltigen zu können – indem sie ihnen K.-o.-Tropfen spritzen? Dieser Verdacht hält sich in den vergangenen Monaten hartnäckig. Doch die Lage ist alles andere als eindeutig.

Fragt man die Polizei-Koordinierungsstelle National Police Chiefs' Council (NPCC), dann fällt die Zahl: 670 Fälle. So viele Mädchen und Frauen haben sich seit September bis Anfang Dezember gemeldet und den Verdacht geäussert, dass ihnen mit Spritzen K.-o.-Tropfen oder andere betäubende Substanzen zugefügt wurden, durch die sie zeitweise ausser Gefecht gesetzt wurden. Das Problem ist jedoch: Dies nachzuweisen, ist extrem schwer. Bestätigt sind von diesen Fällen bislang die allerwenigsten.

Beweismaterial fehlt häufig

Innenministerin Priti Patel will Licht in dieses Dunkel bringen und hat die Polizei darauf angesetzt, den Hinweisen verstärkt nachzugehen. «Wir sind hier in Grossbritannien nicht sehr erfolgreich darin, diese Übergriffe nachzuweisen», sagt der Drogenkonsum-Forscher Harry Sumnall von der Liverpool John Moores University im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Damit bezieht er sich nicht nur auf die mutmasslichen Fälle mit Spritzen, sondern auch Übergriffe, bei denen Frauen gefährliche Substanzen etwa ins Getränk gemischt werden.

Das liege daran, dass oft das Beweismaterial – etwa das jeweilige Getränk – im Nachhinein fehle oder vielen Frauen noch immer nicht geglaubt werde. Oft gebe es Zweifel: Hat die Person vielleicht doch freiwillig Drogen zu sich genommen? Kann sie sich erinnern? «Es gibt eine richtige Schieflage zwischen der öffentlichen Wahrnehmung, den angezeigten Fällen und tatsächlichen Beweisen», sagt Sumnall.

Narben nach Spritzen

Es dauerte nicht lange nach der Wiedereröffnung der englischen Clubs im Juli, bis über die ersten Fälle von «Needle Spiking», wie das Phänomen in Grossbritannien genannt wird, berichtet wurde. Im Oktober äusserten sich im Sender Sky News rund 20 Mädchen und Frauen, die über ihren Verdacht sprachen, Opfer solcher Übergriffe geworden zu sein. Mehrere berichteten von verletzten Hautstellen, an denen sie das Eindringen einer Nadel vermuteten.

«Die Stelle wurde dunkler und es blieb eine Narbe zurück und meine Hand tat immer mehr weh», sagte die Studentin Sarah Buckle dem Sender. «Es ist einfach gruselig und ich habe das Gefühl, niemandem vertrauen zu können.» Nicht alle der Betroffenen berichten von tatsächlichem oder versuchtem Missbrauch, was die Fragezeichen über das Motiv der Angreifer nicht kleiner macht.

Die Kommissarin Kathryn Craner von der Polizei in der englischen Grafschaft Nottinghamshire geht einigen Anzeigen dieser Art nach. «Sie unterscheiden sich deutlich von allem, was wir zuvor gesehen haben», sagte Craner dem «Independent». Die Betroffenen hätten über ein Gefühl des Kratzens berichtet, noch bevor sie etwa Übelkeitssymptome gehabt hätten. Die Suche nach dem, was tatsächlich geschah, gestaltet sich äusserst schwierig.

Frauen fordern strengere Kontrollen in Clubs

Unabhängig davon, was geschehen ist oder nicht, bleibt bei vielen die Sorge. «Die Ängste und Wut, die viele junge Menschen im Moment fühlen, sind real», sagte die Kriminologin Fiona Measham kürzlich der «Cosmopolitan». Einige Frauen haben ihren Sorgen Taten folgen lassen und sich zum Protest organisiert. Unter dem Motto «Girls Night In» riefen sie in etlichen Städten zum Club-Boykott an bestimmten Tagen auf. In einer Petition forderten Tausende ausserdem strengere Kontrollen beim Einlass in Clubs.

Damit das Ausmass des Phänomens greifbar und nachweisbar wird, sind weitere Untersuchungen und noch viel mehr Ermittlungsarbeit notwendig. Das sei eine Priorität der Polizeiarbeit, hiess es von Jason Harwin, der beim National Police Chiefs' Council die Drogenarbeit koordiniert. Ob nun also in den vergangenen Monaten tatsächlich Club-Besucherinnen mit Spritzen angegriffen wurden oder Club-Gänger die Sorge ausnutzten und dumme Streiche spielten, etwa mit Sicherheitsnadeln oder anderen spitzen Gegenständen, ist offen.

«Irgendwas ist anders diesmal»

Harry Sumnall weist darauf hin, dass die Injektion einer Substanz per Spritze – gerade in einem dunklen, vollen Raum und unbemerkt – gar nicht so einfach durchzuführen ist. «Das braucht eine ganze Zeit, man braucht mindestens 20 bis 30 Sekunden für die notwendige Dosis», sagt der Experte. Seines Erachtens sollte sich ein grösserer Kreis mit den angezeigten Fällen und der Verunsicherung vieler Frauen befassen: So müsse etwa Personal in Clubs oder Bars sensibilisiert werden, wie mit Opfern umzugehen sei. Auch bei Polizei und Behörden sei Aufklärung dringend notwendig, damit Opfern das notwendige Vertrauen entgegengebracht werde.

Sumnall hält es für möglich, dass sich durch die grosse Aufmerksamkeit tatsächlich etwas verändern könnte. «Irgendwas ist anders diesmal», sagt der Forscher, der sich bereits seit Jahren mit ähnlichen Fällen auseinandersetzt. Der brutale Mord einer jungen Frau durch einen Polizisten, schlimme Vergewaltigungsfälle und dann die Berichte über Übergriffe in Clubs. In Grossbritannien könnte der Zeitpunkt gekommen sein, an dem ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht hat. (SDA)

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