Folter-Bericht aus russischer Kriegsgefangenschaft
«Manchen wurden Nadeln in die Wunden gestochen»

Er kämpfte für sein Land und war bei der Schlacht um Mariupol dabei. Dann wurde er von den Russen gefangengenommen. Was er dort erleben musste, berichtet der Soldat Wladyslaw Schaiworonok – und erhebt schwere Vorwürfe gegen Putins Armee.
Publiziert: 23.08.2022 um 09:41 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 11:28 Uhr
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Im sommerlichen Kiew scheint der Krieg im Osten der Ukraine weit weg. Inmitten des geschäftigen Gedränges steht Wladyslaw Schaiworonok, auf Krücken gestützt, das Abzeichen des ukrainischen Asow-Regiments auf der Brust.
Foto: AFP

«Manchen von uns wurden Nadeln in die Wunden gestochen, manche wurden mit Wasser gefoltert», sagte Wladyslaw Schaiworonok (29) am Montag in einer Online-Pressekonferenz. Der ehemalige Kämpfer des Asow-Regiments und seine Kameraden berichten über Folter in russischer Gefangenschaft. So sollen ihnen durch gezielte Schläge die Knochen gebrochen worden sein. Die Angaben der ehemaligen Soldaten konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Das Asow-Regiment ist ein ehemaliges Freiwilligenbataillon, das wegen seiner Verbindungen zu Rechtsextremisten umstritten ist und von Russland als «Neonazi»-Gruppe bezeichnet wird. Seit einiger Zeit wird das Regiment sogar als terroristisch eingestuft. Anfang August sagte eine Richterin des Gerichtshofs, die paramilitärischen Asow-Einheiten würden als «terroristische Organisation» eingestuft und deren Aktivitäten in Russland verboten.

2014 wurde die Kampfgruppe formell in die ukrainische Nationalgarde integriert. Damals nahmen Asow-Mitglieder am Kampf gegen von Moskau unterstützte Separatisten im Osten der Ukraine teil.

«Sie zogen uns aus und zwangen uns, nackt in der Hocke zu sitzen. Wenn einer der Jungen den Kopf hob, schlugen sie ihn sofort», sagte ein weiterer ukrainischer Soldat.

«Befreit die Verteidiger Mariupols»

Wladyslaw Schaiworonok hat den Horror überlebt und ist inzwischen in Kiew. Bei den Kämpfen gegen Putins Armee verlor er sein linkes Bein. Schaiworonok hat in der südukrainischen Hafenstadt gekämpft, bis er verletzt und gefangen genommen wurde. «Es wurde schlimmer und schlimmer, härter und härter», sagt er über die letzten Tage der russischen Belagerung im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. «Wir haben die Verteidigung so lange aufrechterhalten, wie es ging», sagt er über die Kämpfe im Asow-Stahlwerk, die zu den erbittertsten des inzwischen sechs Monate andauernden Krieges gehörten.

Am 24. Februar hatten russische Truppen die Ukraine überfallen und die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer innerhalb weniger Tage eingekreist. Schaiworonok erzählt, er und seine Kameraden hätten im März Stellung im riesigen Asow-Stahlwerk bezogen. Unter ständigem Beschuss habe er sein Lager in einem halbzerstörten Bunker eingerichtet und tagsüber seinen Dienst als Drohnenpilot verrichtet. «Das gesamte Gebiet war mit Gebäudebruchstücken übersät», erzählt er.

Wegen Verletzung musst er nicht in die berüchtigte Haftanstalt Oleniwka

Trotz der sich rapide verschlechternden Situation im Stahlwerk sei die Moral unter den Ukrainern gut gewesen, berichtet der 29-Jährige. Sie hätten eine Art Entscheidungsschlacht erwartet und sich darauf vorbereitet.

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Am 15. Mai wurde Schaiworonok beim Einschlag einer Panzerabwehrrakete verletzt und halbtot in den «Medizinbunker» geschafft. Am nächsten Morgen wurde sein Bein amputiert. Im Anschluss war er nur wenige Sekunden bei Bewusstsein, bevor er aus dem Asow-Stahlwerk getragen wurde. Er erinnere sich daran, russische Soldaten gesehen zu haben, die das Symbol «Z» trugen, erzählt der Ukrainer.

Wegen seiner schweren Verletzung blieb ihm eine Internierung in der berüchtigten Haftanstalt von Oleniwka erspart, in der Berichten zufolge bei einer Explosion vergangenen Monat Dutzende ukrainische Gefangene getötet wurden. Stattdessen wurde Schaiworonok in ein Spital in der Region Donezk gebracht, wo ihn eine andere Art des Leidens erwartete.

«Ich war einfach nur ein Stück triefendes, fauliges Fleisch»

«Es gab keinen Kontakt zu Verwandten, keinen Zugang zum Telefon», erzählt er. Die medizinische Versorgung sei «sehr minderwertig» gewesen, Medikamente knapp. «Ich war einfach nur ein Stück triefendes, fauliges Fleisch», erinnert sich der Soldat. Erst ab dem fünften Tag habe er Antibiotika bekommen. Er und drei weitere Soldaten auf seiner Station hätten gerade genug Essen bekommen, «damit das Herz nicht stehen bleibt».

Seine eineinhalb Monate Gefangenschaft endeten ohne Vorwarnung. «Wir wurden um vier Uhr morgens geweckt, die Listen wurden vorgelesen, wir wurden nach draussen gebracht, auf Busse verladen und fuhren bis zum Abend», erzählt Schaiworonok. Er und rund hundert weitere verletzte ukrainische Gefangene konnten das Spital im Zuge eines Gefangenenaustauschs verlassen.

Seine schweren Verletzungen versucht Schaiworonok, mit einem Scherz herunterzuspielen: «Ich habe unseren Ärzten viel Arbeit gegeben.» Als Berufssoldat erfülle er trotz seiner Verletzungen weiter gewisse militärische Verpflichtungen, sagt der 29-Jährige, der in sehr ruhigem Ton von seinem Schicksal erzählt. Nur einmal versagt kurz seine Stimme, als er über die Tausenden Ukrainer spricht, die noch in russischer Kriegsgefangenschaft sind. «Es lässt mir keine Ruhe. Das drückt von innen heraus. Wenn die Jungs zurück sind, werde ich in der Lage sein, freier zu atmen.» (AFP/jmh)

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