Diese Zahl ärgert den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45): Fast 20'000 Männer sind seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ins Ausland geflohen, um der Einberufung zu entgehen.
Manche durchquerten reissende Flüsse, andere täuschten Krankheit vor. Einige der Männer haben mit der britischen BBC über ihre Beweggründe für die Flucht gesprochen.
«Nicht jeder ist ein Krieger. Man muss nicht das ganze Land einsperren. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren, wie es in der Sowjetunion der Fall war», sagt etwa ein Mann namens Jewgeni. Er ist einfach über die Landesgrenze nach Moldau gelaufen. Es gibt aber auch waghalsigere Fluchtwege.
Immer wieder schwimmen Ukrainer durch Flüsse in Richtung Moldau oder Rumänien. Nicht immer reicht die Kraft, um die reissenden Gewässer zu überqueren. An den Ufern des Flusses Theiss zwischen der Ukraine und Rumänien wurden die Leichen von mehreren ertrunkenen Männern an Land gezogen.
Monate warten auf Befreiung
Erik (26), der es über Moldau in die USA geschafft hat und dort mit seiner Familie lebt, muss nach einer Operation im Bauchraum eine spezielle Diät einhalten. Eigentlich war der Musiker vom Kriegsdienst befreit. Aber als der Krieg ausbrach, erwies es sich für ihn als unmöglich, auf legalem Wege eine ärztliche Befreiungsbescheinigung zu bekommen. «Ich verbrachte ein halbes Jahr damit, ein Zertifikat zu bekommen, um zu beweisen, dass ich nicht fit war, obwohl ich alle Tests in der Hand hatte. Irgendwann war meine Geduld am Ende», sagt er. Er floh über die Russland-nahe Moldau-Region Transnistrien.
Der Krieg befeuert die Kriminalität. Manche Männer bezahlen den Recherchen zufolge Schmuggler, um über die Grenze zu gelangen. Auf Telegram werden medizinische Bescheinigungen für umgerechnet 3800 Schweizer Franken angeboten.
Flüchtige mit Schwimmflügeli erwischt
Doch nicht allen Kriegsdienstverweigerern gelingt die Flucht. 21'113 Personen wurden bei der Flucht von den ukrainischen Behörden gefasst. Ihnen droht eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren.
Zu den gescheiterten Flüchtigen gehören auch zwei Ukrainer, die nach Rumänien ausreisen wollten. Sie wurden an der Grenze aufgehalten.
Die Männer hatten offenbar vor, den Fluss Theiss zu überqueren. Dafür hatten sie sich mit Flamingo-Schwimmflügeli und einem Schwimmring mit Blumenmuster ausgerüstet, wie Bilder der ukrainischen Behörden zeigen.
Selenski feuert regionale Beamte
Der Krieg entwickelt sich immer mehr zu einem Zermürbungskrieg. Die Ukraine braucht alle Soldaten, die sie kriegen kann. Das weiss auch Selenski.
Im August rügte er die «korrupten Entscheidungen» der medizinischen Militärkommissionen, die zu einer Verzehnfachung der Ausnahmen seit Februar 2022 geführt hätten. Er verkündete, dass alle regionalen Beamten, die für die Wehrpflicht zuständig waren, abgesetzt worden seien und mehr als 30 Personen strafrechtlich belangt würden. (nad)