Erstmals in Deutschland werde ein gesamter Kreis - im Kreis Gütersloh leben rund 370 000 Menschen - wegen des Corona-Infektionsgeschehens wieder auf die strengen Pandemie-Schutzmassnahmen zurückgeführt, die noch vor einigen Wochen gegolten hätten, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet am Dienstag in Düsseldorf. Es handele sich um das bisher «grösste Infektionsgeschehen» in Nordrhein-Westfalen und auch deutschlandweit.
Die Massnahmen sollen zunächst bis zum 30. Juni gelten. Mit dem jetzt verhängten Kontaktverbot und weiteren Lockdown-Massnahmen gelten Laschet zufolge für den Kreis nun die gleichen Regeln wie während der deutschlandweiten Kontaktverbote im März. Behörden im Landkreis verbieten demnach ab diesem Mittwoch unter anderem wieder Sport in geschlossenen Räumen und auch zahlreiche Kulturveranstaltungen. Fitnessstudios würden im Kreisgebiet ebenso geschlossen wie Kinos und Bars.
Fleischfabrik wird zum Corona-Hotspot
Beim Schlachtbetrieb von Tönnies hatten sich mehr 1550 Beschäftigte nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Bis zum 30. Juni werde man dann mehr Klarheit haben, inwieweit sich das Virus womöglich auch bei Menschen, die nicht bei Tönnies arbeiten, ausgebreitet habe, sagte Laschet. Bisher gebe es hier nur 24 nachgewiesene Infektionen. Die Behörden werden die Tests in der Bevölkerung zudem massiv ausweiten, betonte der Regierungschef.
Rund 7000 Mitarbeiter stehen mitsamt ihren Familien seit einigen Tagen unter Quarantäne. Das Zentrum des Corona-Ausbruchs bei Tönnies liegt Laschet zufolge in der Fleischzerteilung. In dieser Abteilung gebe es die meisten Infizierten.
Polizei setzt Quarantäne-Massnahmen durch
Die Einhaltung der Quarantäne-Massnahmen gestaltet sich aber schwierig. Die nordrhein-westfälische Landesregierung habe drei Einsatzhundertschaften der Polizei in den Kreis Gütersloh geschickt, sagte Laschet. Die Polizisten sollten die Quarantäne der Mitarbeiter von Tönnies kontrollieren. Zur Not müssten die Behörden auch mit Zwang die Anordnungen durchsetzen. Es werde auch zusätzliche humanitäre Massnahmen zur Unterstützung der Betroffenen geben. Dolmetscher für Polnisch, Rumänisch und Bulgarisch seien auch dabei.
Schulen und Kitas im Landkreis Gütersloh mit rund 370 000 Einwohnern waren bereits geschlossen worden. Für die grösste deutsche Fleischfabrik war zudem ein vorübergehender Produktionsstopp verhängt worden. Auch im Kreis Warendorf werde es Einschränkungen geben.
Tönnies soll für Schäden durch Coronavirus-Ausbruch haften
Der deutsche Fleischkonzern Tönnies wird nach Ansicht des deutschen Arbeitsministers Hubertus Heil für durch den Coronavirus-Ausbruch im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück entstandene Schäden haften müssen. «Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben.»
Dies sagte Heil am Sonntag in der «Bild»-Internetsendung «Die richtigen Fragen». Wer durch Regelverstösse die Verbreitung des Coronavirus auslöse, müsse dafür auch haften.
Heil geht zudem nicht davon aus, dass der Tönnies-Konzern mit Mitteln aus den staatlichen Rettungsschirmen unterstützt werden müsse. Das Unternehmen habe in den vergangenen Jahren «wahnsinnig viel Geld verdient». Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, hatte sich am Samstag öffentlich für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern seines Betriebs entschuldigt. Der Konzern stehe in«voller Verantwortung», hatte er gesagt.
Die Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der deutschen Fleischbranche hat eine Debatte über die dortigen Arbeitsbedingungen sowie die Niedrigpreise für Fleischprodukte entfacht. (SDA)