Wie alle prominenten Führungspersonen der Terrororganisation Hamas lebte auch Ismail Hanija (†62), der politische Führer der Hamas, unter der ständigen Bedrohung, ermordet zu werden. Er war einer der Strippenzieher des Oktober-Massakers in Israel und der Internationale Strafgerichtshof sprach einen Haftbefehl gegen ihn aus. Am Mittwoch teilten die iranischen Revolutionsgarden und die Hamas dann mit, dass er bei einem «gezielten Luftangriffs Israel» in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet wurde.
Der Tod Hanijas ist die jüngste waghalsige Operation Israels, um ihre politischen und militärischen Gegner auszuschalten. Nur einen Tag zuvor soll der hohe Hisbollah-Kommandeur Fuad Shukr (†61) in Beirut, Libanons Hauptstadt, getötet worden sein. Diese beiden gezielten Angriffe auf bestimmte Einzelpersonen der Terrororganisationen zeigt abermals: Israel hat viel Macht über seine Feinde. Selbst Experten zeigen sich gegenüber Blick überrascht von Israels tödlicher Präzision.
Wie hat Israel Hanija bloss gefunden?
Hanija lebte im Exil und hielt sich in der Türkei und in Katar auf. Vor seinem Tod reiste der Hamas-Führer nach Teheran, um der Amtseinführungszeremonie des neuen iranischen Präsidenten, Massud Peseschkian (69) beizuwohnen. Der Iran gilt als Verbündeter der Hamas. Daher stellt sich die Frage: Wieso wurde Hanija nicht besser vor einem Angriff geschützt?
Öffentliche Informationen zum Vorgehen des israelischen Militärs gibt es derzeit nicht. Michel Wyss, Experte von der Militärakademie an der ETH Zürich, merkt allerdings an: «Die gezielte Tötung Hanijas zeigt einmal mehr, dass Israel über bemerkenswerte Nachrichtendienst-Fähigkeiten verfügt.» Wyss vermutet, dass es dem israelischen Geheimdienst durch technologische Mittel, aber auch menschliche Quellen gelungen ist, den Aufenthaltsort Hanijas herauszufinden.
«Der Iran hat nicht mit einem Angriff gerechnet»
Davon geht auch der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom (70) aus. «Israel hatte vermutlich Leute in Teheran, die das israelische Militär über die Bewegungen Hanijas informierten.» Israel hat also einen sehr fähigen Geheimdienst. Doch hatte der Iran gar keine Vorkehrungen für einen Angriff getroffen? Nein, mutmasst Schmidt-Eenboom. Denn: «Der Iran hat in keinster Weise mit einem Angriff gerechnet.» Auch für Schmidt-Eenboom kam der Angriff überraschend. «Man wusste nicht, dass Israel die militärischen Fähigkeiten hat, den Iran aus der Luft anzugreifen.»
Einen solchen Angriff zu planen, braucht zudem enorme menschliche und materielle Ressourcen, sagt Schmidt-Eenboom. «Hinter dieser Aktion steckt eine intensive Planung. Das ist wichtig, damit der Angriff möglichst schnell durchgeführt werden kann.» Nur so könnte ein Erfolg garantiert werden.
Israel manövriert sich in schwierige Situation
Ob die Tötung von Hanija tatsächlich als Erfolg gewertet werden kann, bleibt laut Experten allerdings fraglich. Militärexperte Wyss sagt: «Die Effekte solcher Enthauptungsschläge sind schwierig abzuschätzen. Manchmal können sie diese Organisationen nachhaltig schwächen. Doch auch unbeabsichtigte, negative Konsequenzen für Israel sind denkbar.»
Nahost-Experte Erich Gysling (88) gibt gegenüber Blick zu bedenken: «Diese israelischen Angriffe auf Teheran und Beirut bergen die Gefahr, eine Eskalationsspirale loszutreten.» Auch Schmidt-Eenboom merkt an, dass dieser Angriff zwar auf Papier ein Erfolg Israels sei – doch in diesem Krieg nur negative Konsequenzen haben werde. Bereits am Mittwoch kündigten der Iran, die Hisbollah und die Hamas Vergeltung an.
Hinzu komme laut Gysling, dass bei Hamas und auch bei Hisbollah immer wieder neue Köpfe nachwachsen würden. «Bisher wurden alle ermordeten Führungskräfte ersetzt. Diese Terrororganisationen werden durch gezielte Tötungen von Führungspersonen nicht geschwächt.» Viel wahrscheinlicher sei es, dass sich Israel in eine noch viel verzwicktere Situation manövriert hat.