Wird Wladimir Putin (69) sich wirklich zum Einsatz von Atomwaffen entschliessen? Das bleibt unklar, jedoch schätzen Experten die Lage nach der Annexionsrede des Kremlchefs neu ein. Für die Militärexperten des Institute for the Study of War (ISW) ist klar, «eine solche Entscheidung wäre naturgemäss persönlich».
Doch Putins definierte rote Linien für den Atomwaffen-Einsatz seien bereits mehrfach überschritten worden. Jedoch habe der Kremlchef es nicht zu einer nuklearen Eskalation kommen zu lassen.
Putins rote Linie wurde mehrfach überschritten
So erklärte Putin einen Angriff auf russisches – oder von ihm als russisches angesehenes – Gebiet als möglichen Auslöser für eine Atomwaffennutzung. Es gab jedoch bereits Angriffe auf das Grenzgebiet Belgorod und Angriffe auf die von Russland besetzte Krim.
Die russische Nukleardoktrin ist laut den Experten kein entscheidender Faktor, einen Angriff zu erzwingen. Laut den Experten müsste Putin wohl mehrere taktische Nuklearwaffen in der Ukraine einsetzen, um den von ihm gewünschten operativen Effekt zu erzielen. Sein Ziel wäre demnach das Einfrieren der Frontlinien und das Aufhalten der ukrainischen Gegenoffensiven.
Diese operative Wirkung müsste für Russland jedoch die «potenziell sehr hohen Kosten eines möglichen Nato-Vergeltungsschlags aufwiegen». Putin könnte einen nuklearen Angriff auf dicht besiedeltes ukrainisches Gebiet versuchen – oder auf kritische Infrastrukturen. Dies in der Hoffnung, die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen. Oder den Westen zur Einstellung der Hilfe für die Ukraine zu bewegen.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass der Westen und die Ukraine nachgeben würden. Das wisse Putin. Laut den Experten sei der russische Nukleareinsatz ein massives Risiko für begrenzte Vorteile. Putins erklärte Kriegsziele können damit nicht erreicht werden.
Putins Truppen sind nicht fähig, auf Nuklear-Schlachtfeld zu kämpfen
Die russische Militärdoktrin fordert aus, dass die russischen Streitkräfte in der Lage sein müssen, auf einem nuklearen Schlachtfeld «effektiv zu kämpfen». Doch das ist aktuell nicht gegeben.
So heisst es laut ISW: «Die degradierten, zusammengewürfelten russischen Streitkräfte, die derzeit in der Ukraine operieren, können derzeit nicht einmal in einem nicht-nuklearen Umfeld wirksame Offensivoperationen durchführen.» Und weiter: «Auf einem nuklearen Schlachtfeld werden sie schlichtweg nicht operieren können.»
Lediglich einige russische Soldaten haben Übungen für den Kampf auf einem Nuklear-Schlachtfeld durchgeführt. Darunter die Kämpfer der Wagner-Gruppe, BARS-Reservisten und «die dezimierten Reste der russischen konventionellen Einheiten».
Die neu mobilisierten Reservisten haben teils keinerlei Militär-Training. Laut den Experten überlege Putin die nächsten Schritte ganz genau. Und je zuversichtlicher Putin sei, dass ein Nuklearwaffeneinsatz keine entscheidenden Auswirkungen haben wird – sondern ein direktes westliches Eingreifen in den Konflikt nach sich ziehen wird, desto unwahrscheinlicher sei es, dass er einen Nuklearangriff durchführen werde. (euc)