Experten erklären, warum Assad mit seinen Truppen eine solche Schlappe erleidet
Darum schlagen die Rebellen in Syrien gerade jetzt zu

Der syrische Krieg ist zurück. Islamistische Rebellen haben die zweitgrösste Stadt Aleppo in nur zwei Tagen erobert. Wir erklären die Zusammenhänge und sagen, warum der Krieg auch uns betreffen wird.
Publiziert: 01.12.2024 um 16:48 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2024 um 17:23 Uhr
Am Samstag haben syrische Rebellen die Stadt Aleppo angegriffen.
Foto: AFP

Auf einen Blick

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Guido FelderAusland-Redaktor

Der bei uns vergessene Syrien-Krieg sorgt wieder für Schlagzeilen. Innerhalb von zwei Tagen haben Dschihadisten die Millionenstadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Mitten drin: die russische Luftwaffe, die seit 2016 erstmals in Syrien wieder im Einsatz steht. Die jüngsten Kämpfe haben bisher über 300 Tote gefordert.

Dass der Krieg gerade jetzt wieder aufflammt, hat seinen Grund. Wir erklären, warum die Dschihadisten so erfolgreich zuschlagen und der syrische Machthaber Baschar al-Assad (59) unter massiven Druck gerät.

Was passiert gerade in Syrien?

Am Samstag hat eine Rebellenallianz mit dem Namen Military Operations Command unter der Führung der islamistischen Gruppe Tahrir al-Scham (HTS) Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Nach der praktisch vollständigen Zerstörung zwischen 2012 und 2016 war die heute rund 2,5 Millionen Einwohner zählende Stadt teilweise wieder aufgebaut worden. Der 2011 ausgebrochene Bürgerkrieg, der bisher über 300'000 Tote gefordert hat, ist wieder zurück.

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Über der Stadt Aleppo breiteten sich Rauchwolken aus.
Foto: Imago

Warum schlagen die Islamisten gerade jetzt zu?

Die Antwort liegt auf der Hand: Die Verbündeten von Syriens Machthaber Assad sind zurzeit anderweitig beschäftigt – Russland in der Ukraine, der Iran im Streit mit Israel, das jederzeit zu einem Vergeltungsschlag ausholen könnte. Zudem konnten die Rebellen aufrüsten und verfügen nun über moderne Waffen, darunter auch Drohnen.

Der syrische, von der BBC ausgezeichnete Journalist Mustafa al-Ali (33) sagt gegenüber Blick: «Bei den Rebellen kämpfen viele Ausländer, darunter Chinesen und Uiguren.» Er geht davon aus, dass die Terrorgruppe von der Türkei zum Angriff angestiftet worden ist.

Welche Rolle spielen Russland und der Iran?

Sie sind Assads wichtigste Verbündete. Nach der Invasion in die Ukraine hat Russland zwar sein Engagement in Syrien heruntergefahren, ist aber nach wie vor präsent. Moskau braucht den Luftwaffenstützpunkt in Tartus, um Waffen und Kämpfer nach Libyen und Subsahara-Afrika zu transportieren. Zudem versucht der Kreml laut der Deutschen Bundeszentrale für politische Bildung, mithilfe des syrischen Regimes Flüchtlinge nach Norden zu schleusen, um Europa zu destabilisieren.

Teheran hat dank des Einsatzes in Syrien über den Irak einen Landzugang zum Libanon und somit zum Mittelmeer schaffen können. Im Libanon unterstützt der Iran die Hisbollah im Kampf gegen Israel und rüstet die Terrororganisation mit Raketen aus.

Wie reagieren die USA?

Der iranische Aussenminister Abbas Araghtschi (61) wirft den USA und Israel vor, die Rebellen «reaktiviert» zu haben. Sean Savett, Sprecher des Sicherheitsrats des Weissen Hauses, widerspricht den iranischen Vorwürfen. Die USA hätten nichts mit der Offensive zu tun, sagt er. Savett sieht den Auslöser des Angriffs unter anderem in der Abhängigkeit Assads von Russland und dem Iran. Die USA würden weiterhin ihr Personal und die Stützpunkte verteidigen, um eine Rückkehr des IS zu verhindern.

Wird Assad gestürzt?

Charles R. Lister vom Middle East Institute in Washington, D.C. spricht von einem «Erdbeben» und einem «absoluten Kollaps». «Assad ist so verletzlich wie noch nie», schreibt er auf X. Lister geht davon aus, dass Assad nach Moskau geflohen ist und sich auch weitere Angehörige in Russland oder in den Vereinigten Arabischen Emirate befinden.

Explodiert die Lage?

Vom eigenen Erfolg überrascht, dürften die Rebellen weitere Eroberungspläne schmieden und in einer Art Dominoeffekt weitere Gebiete angreifen. Es drohen blutige Kämpfe.

Der Erfolg der Rebellen hängt von der Reaktion Moskaus ab. Wegen der Konzentration Russlands auf die Ukraine geht Lister daher davon aus, dass die Rebellen schon bald einen Grossteil der Provinzen Aleppo und Hama einnehmen könnten.

Kommt es zu einer Flüchtlingswelle?

«Es werden sehr viele Menschen das Land verlassen», ist Mustafa al-Ali überzeugt. Viele von ihnen dürften Richtung Europa flüchten, wo sie Angehörige haben. In Aleppo fürchteten vor allem die Minderheiten der Christen und Kurden um ihr Leben, sagt al-Ali. Die HTS hat ähnliche Regeln wie die Taliban und geht gegen Andersdenkende brutal vor. Zudem, so befürchtet al-Ali, könnten die jüngsten Unruhen auch dem IS wieder Auftrieb geben.

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