Russen zum Rückzug gezwungen
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Rückeroberungen in Charkiw:Russen zum Rückzug gezwungen

Experte erklärt, wie die Ukrainer ihr Land zurückerobern
Mit Sandwich-Taktik die Russen überrennen

Die Ukraine verbucht seit Anfang Monat immer wieder Erfolge an der Front, die russischen Truppen verharren in Schockstarre. ETH-Experte Marcel Berni erklärt, was das Erfolgsrezept der Ukraine ist.
Publiziert: 10.09.2022 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2022 um 09:04 Uhr
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Die ukrainischen Truppen verbuchen an der Front immer wieder Erfolge.
Foto: AFP
Chiara Schlenz

Rund 1000 Quadratkilometer haben die ukrainischen Truppen seit Anfang September von den russischen Invasoren zurückerobert. Das ukrainische Blau-Gelb weht wieder über der Kreisstadt Balaklija, und das ukrainische Militär soll mehr als 50 Kilometer über die feindlichen Linien hinweg nach Osten vorgedrungen sein. «Im Rahmen laufender Verteidigungsoperationen haben unsere Helden bereits Dutzende Siedlungen befreit», sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) am Donnerstag.

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Die russische Armee scheint in Bedrängnis. Und es könnte für sie noch schlimmer kommen: Der Angriff läuft laut dem ukrainischen Generalstab über Balaklija hinaus in Richtung der Stadt Kupjansk. Dort befindet sich ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, über den Russland seine Truppen beim Angriff auf den Donbass versorgt.

Wie schafft es das ukrainische Militär, die russischen Truppen so schnell und so erfolgreich zurückzudrängen?

«Russlands Truppen sollen überrannt werden»

Das Erfolgsrezept der Ukrainer ist deren Schnelligkeit. «Sie gehen insbesondere im Nordosten mit hohem operativen Tempo und einem mobilen Zusammenspiel zwischen Infanterie und mechanisierten Verbänden vor», sagt Marcel Berni (34), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH Zürich, zu Blick. Kurz: «Russlands Truppen sollen überrannt werden.»

Dieses Vorgehen – kombiniert mit eingeschränktem russischem Nachschub, dem ukrainischen Vorteil der inneren Linien, westlicher Unterstützung sowie einer effizienten Taktik und Führung – mache den ukrainischen Fortschritt möglich und schränke die russischen Möglichkeiten zurzeit ein, so Berni.

Nicht nur der fehlende Nachschub macht den Russen in diesem Szenario zu schaffen, auch der schon seit sechs Monaten andauernde Einsatz im Feld. «Nun werden sie auch noch überraschend ins Sandwich genommen, die Ukrainer greifen parallel im Nordosten und im Süden an.»

Dies bedeute, dass sich die müden russischen Truppen auf einer langen Front verteidigen müssen. «Mit wenigen Bodenkräften, die jetzt durch die beiden zeitgleichen Angriffe in entgegengesetzte Seiten auseinandergezogen werden», so der Militärexperte zu Blick. Dadurch werde es den russischen Truppen verwehrt, einen operativen Schwerpunkt zu setzen – wie es noch Anfang Sommer im Donbass getan wurde.

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«Russische Front wie fliessendes Wasser zurückdrängen»

Auch wenn die Ukrainer momentan einige Erfolge verbuchen können, dürften die Russen nochmals frische Truppen nachschieben, etwa das Dritte Armeekorps mit rund 20'000 Soldaten. So werden die Russen versuchen, das Blatt auf dem Schlachtfeld zu wenden. In einem Punkt hätten sie einen Vorteil: Im Gegensatz zur Ukraine haben sie moderne Waffen.

Berni: «Es fehlen zurzeit vor allem moderne westliche Kampf- und Schützenpanzer zum Schutz der eigenen Truppen während Angriffen auf breiter Front.» Es sehe allerdings so aus, als würde die Ukraine davon keine bekommen. «Stattdessen müssen sie sich mit alten sowjetischen Panzern zufriedengeben.»

Wenn die ukrainische Dynamik auf dem Schlachtfeld nun ausgenutzt werden kann, könnten ähnliche Durchbrüche wie im Nordosten erfolgen, ist sich der Militärexperte sicher. «Dann könnte die russische Front wie fliessendes Wasser zurückgedrängt werden.»

Laut Berni ist trotz der ukrainischen Erfolge noch kein baldiges Ende des Krieges in Sicht: «Keine Seite kann den Krieg entscheiden.» Bald müssten sich die ukrainischen Truppen darauf einstellen, dass sich die Russen wehren werden. «Auch sie werden feststellen, dass der Angriff schwieriger als die Verteidigung ist.» Für ihn ist klar: «Einzig der vollständige Zusammenbruch einer Seite könnte den Krieg rasch entscheiden.»

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