Experte erklärt
Darum haben die Frühwarnsysteme beim Todes-Beben nicht geholfen

Frühwarnsysteme lassen eine schnelle Erkennung von Erdstössen zu. Bei den Erschütterungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet konnten sie allerdings nicht helfen. Das hat einen Grund.
Publiziert: 08.02.2023 um 16:03 Uhr
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Aktualisiert: 08.02.2023 um 18:14 Uhr
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Frühwarnsysteme lassen eine schnelle Erkennung von Erdstössen zu.
Foto: Getty Images

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien überraschte die Menschen im Schlaf. In den betroffenen Gebieten waren regionale Frühwarnsysteme installiert. Eine rechtzeitige Warnung, die Schlimmeres verhindert und Leben gerettet hätte, gab es trotzdem nicht. Woran liegt das?

Dafür muss man sich zunächst anschauen, wie solche Frühwarnsysteme funktionieren. Die Frühwarnsysteme zeichnen mithilfe eines dichten seismischen Netzwerks die sogenannte P-Welle auf, sobald diese die Erd- oder Wasseroberfläche erreicht. Dabei handelt es sich um eine Kompressionswelle mit relativ geringer Schwingung.

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«Je weiter man davon entfernt ist, desto mehr Zeit bleibt für einen Alarm»

Die P-Welle bewegt sich rund doppelt so schnell fort, wie die darauffolgende Scherwelle, auch S-Welle genannt. Das Problem: Nah am Zentrum des Bebens, dem Epizentrum, liegen zwischen beiden Wellen nur wenige Sekunden. Danach folgt die zerstörerischste aller Wellen: die Rayleigh-Welle, benannt nach dem Physiker John William Rayleigh (1842-1919). Sie breiten sich an der Erdoberfläche aus und richten die meisten Schäden an.

«Je weiter man davon entfernt ist, desto mehr Zeit bleibt für einen Alarm. Ist man nah am Epizentrum, ist die S-Welle schon vor diesem angekommen», erläutert der Experte Stefano Parolai von der Universität Triest gegenüber der Deutschen Presseagentur.

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Foto: Blick Grafik

Heisst: Sind die regionalen Frühwarnsysteme in einiger Entfernung vom Epizentrum installiert, sind die seismischen Wellen viel langsamer als die in modernen Kommunikationssystemen zur Informationsübermittlung verwendeten elektromagnetischen Wellen. So kann eine Warnung rechtzeitig ausgesprochen werden. Die Menschen in den betroffenen Gebieten können Schutz suchen.

Teilweise werden die Frühwarnsysteme direkt an der zu schützenden Infrastruktur installiert, beispielsweise an Industrieanlagen. Auch hier registrieren die Messgeräte die P-Welle und können daraus ableiten, wie stark die S-Welle wird. Gefährliche industrielle Prozesse können so rechtzeitig angehalten werden. Gleiches gilt für Züge oder Strom- und Gasleitungen in Städten.

Darum war eine Frühwarnung nicht möglich

Bei der aktuellen Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet wäre eine solche Frühwarnung unabhängig vom eingesetzten System nicht möglich gewesen, erklärt Marco Bohnhoff vom deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam der Deutschen Presseagentur. Die betroffene, dicht besiedelte Region lag dem Wissenschaftler zufolge in unmittelbarer Nähe des Epizentrums, sodass es keinen Zeitraum für Warnungen gegeben hätte.

So läuft die Erdbebenfrühwarnung in der Schweiz

In der Schweiz ist laut der ETH Zürich alle 50 bis 150 Jahre mit einem Erdbeben der ungefähren Stärke 6 zu rechnen. Starke Erschütterungen treten bei dieser Magnitude lediglich im Umkreis von 20 bis 30 km um das Zentrum des Erdbebens auf. Insofern bleibe nur wenig Zeit zwischen der ersten Aufzeichnung der P-Welle und dem Auftreten der zerstörerischen S-Welle, heisst es auf der Website der Hochschule.

Alle Stationen im nationalen Netzwerk der Schweiz seien mit Starkbebensensoren ausgestattet. Man strebe an, Erdbeben mit einer Verzögerung von höchstens einer Sekunde aufzuzeichnen. Im Anschluss würden die Daten von über 150 Stationen im Schweizerischen Frühwarn-Netzwerk zusammengeführt.

8 bis 12 Sekunden dauert es, bis der Schweizer Erdbebendienst eine erste Einschätzung zu dem Erdbeben abgeben kann. Die in der Schweiz vorhandene Infrastruktur sei grundsätzlich geeignet, um Erdbebenfrühwarnungen zu erstellen, auch wenn sie weiter verbessert werden könne, um noch schnellere und zuverlässigere Alarmmeldungen zu generieren.

In der Schweiz ist laut der ETH Zürich alle 50 bis 150 Jahre mit einem Erdbeben der ungefähren Stärke 6 zu rechnen. Starke Erschütterungen treten bei dieser Magnitude lediglich im Umkreis von 20 bis 30 km um das Zentrum des Erdbebens auf. Insofern bleibe nur wenig Zeit zwischen der ersten Aufzeichnung der P-Welle und dem Auftreten der zerstörerischen S-Welle, heisst es auf der Website der Hochschule.

Alle Stationen im nationalen Netzwerk der Schweiz seien mit Starkbebensensoren ausgestattet. Man strebe an, Erdbeben mit einer Verzögerung von höchstens einer Sekunde aufzuzeichnen. Im Anschluss würden die Daten von über 150 Stationen im Schweizerischen Frühwarn-Netzwerk zusammengeführt.

8 bis 12 Sekunden dauert es, bis der Schweizer Erdbebendienst eine erste Einschätzung zu dem Erdbeben abgeben kann. Die in der Schweiz vorhandene Infrastruktur sei grundsätzlich geeignet, um Erdbebenfrühwarnungen zu erstellen, auch wenn sie weiter verbessert werden könne, um noch schnellere und zuverlässigere Alarmmeldungen zu generieren.

Selbst wenn eine Warnung nah am Zentrum des Erdbebens erfolgt, bleiben in der Regel nur Sekundenbruchteile oder wenige Sekunden, bevor die seismische Druckwelle die Erdoberfläche erreicht und ihre zerstörerische Wirkung entfaltet. In dieser kurzen Zeit ist es kaum möglich, Massnahmen zu ergreifen.

Aber auch wenn die Frühwarnung kurz vor oder nach Beginn der Erschütterung eintrifft, hilft es, die gegenwärtige Situation besser einzuschätzen und unter Umständen Massnahmen zu ergreifen, heisst es auf der Webseite des Schweizerischen Erdbebendienstes. (nad)

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