Seit dem Überfall auf die Ukraine Ende Februar hat Russland bei den Kampfhandlungen stets die Führungsrolle übernommen. Die Armee von Präsident Wladimir Putin (69) bestimmte, wann und wo gekämpft wird. Nach und nach wechselte aber auch ukrainische Armee von der Defensive in die Offensive.
Laut dem australischen Ex-General Mick Ryan befindet sich der Krieg nun aber an einem Wendepunkt. Er rechnet damit, dass die Ukraine die «Initiative ergreifen und «selbst für Überraschungen» sorgen könnte, schreibt er auf Twitter. Damit könne die Ukraine erstmals Russland in die Defensive drängen.
Russland habe zwar zuletzt die Region rund um die Stadt Luhansk eingenommen, allerdings unter hohen Verlusten. Diese seien im Gegensatz zu den vergleichsweise kleinen Gebietsgewinnen «kaum zu rechtfertigen». Nebst den zahlreichen Toten sowie den zerstörten Waffen mache der russischen Armee auch die Erschöpfung zu schaffen.
Putins Armee droht der Zusammenbruch
«Im Osten haben die Ukrainer die Russen für jeden gewonnenen Meter bluten lassen», schreibt Ryan. Ein Grund dafür sei auch die westliche Unterstützung, etwa mit dem hochpräzisen Himars-Raketenwerfer.
«Wenn die Ukraine ihre Defizite ausgleicht und noch mehr Präzisionswaffen sowie die notwendige Ausbildung auf allen Ebenen erhält, könnte sie die Führung im Krieg übernehmen», so Ryan. Das könne bald der Fall sein, denn die Ukrainer haben während des gesamten Krieges bewiesen, dass sie schnell lernten und sehr anpassungsfähig seien.
Bei genügend hohem Druck von Seiten der Ukrainer könnte Russlands Armee im Extremfall sogar zusammenbrechen. «Sobald die Russen dazu übergehen, nur noch auf ukrainische Offensiven zu reagieren, können die Moral und taktische Effektivität sehr schnell sinken», ist sich der Ex-Militär sicher.
Ukraine könnte den Krieg für sich entscheiden
Ob die Ukraine tatsächlich die Führung übernehmen könne, sei zwar nicht sicher, so Ryan. «Aber die russische Militärführung in diesem Krieg ist kaum ein Vorbild für andere.» Es herrsche Chaos und Planlosigkeit innerhalb der russischen Armee.
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Nun sei es an der Ukraine, die Kriegsführung zu übernehmen – und womöglich sogar den Krieg zu gewinnen, sagt der Experte. «Die Möglichkeit von Bildern einer grossen Anzahl von sich zurückziehenden russischen Truppen und gefangenen Soldaten wäre für Präsident Putin eine strategische Katastrophe. Seine Erzählungen über die Grösse Russlands und die Wirksamkeit seiner Wunderwaffen werden in Trümmern liegen.»
Putin will Russifizierung
Seit der Eroberung eines grossen Teils der Region Cherson und eines Teils der Gegend um Saporischschja treibt der Kreml eine Politik der Russifizierung mit Blick auf eine mögliche Annexion der Gebiete an Russland an. Moskau hat dort den Rubel als Währung eingeführt und die Bewohner ermutigt, sich russische Pässe ausstellen zu lassen.
Gleichzeitig treibt die ukrainische Armee seit mehreren Wochen eine Gegenoffensive rund um Cherson voran. Die Soldaten machten zwar Boden gut und näherten sich der 290'000-Einwohner-Stadt. Bisher gelang es ihnen jedoch nicht, die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. (zis)