In ihrer Heimat gilt sie als starke Persönlichkeit, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Esther Hayut (69), Präsidentin des obersten Gerichts von Israel, findet klare Worte zur umstrittenen Justizreform, die die Regierungskoalition auf Biegen und Brechen durchsetzen will. Die Reform werde das Justizsystem zerschlagen und der Demokratie einen tödlichen Schlag versetzen, warnte Hayut noch auf der Jahrestagung der israelischen Vereinigung für öffentliches Recht im Januar 2023.
Trotz anhaltender Massenproteste, an denen rund eine Million Menschen teilnahm, peitschten die Ultranationalisten den ersten Gesetzentwurf am Montag vor einer Woche durchs Einkammer-Parlament, die Knesset.
Danach dürfen oberste Richter nicht mehr Entscheidungen der Regierung als «unangemessen» zurückweisen. Die nächsten parlamentarischen Schritte sollen nach der Sommerpause folgen, beispielsweise mehr Macht in jener Kommission, die Richter nach Belieben entlassen und durch regierungstreue Amtsträger ersetzen könnte. Die Gefahr: keine Kontrolle mehr über Korruption, Verletzung der Menschenrechte und politische Willkür.
Tochter von rumänischen Holocaust-Überlebenden
Die Reaktion kam postwendend. Sowohl die politische Opposition als auch die Anwaltskammer reichten je eine Petition gegen das Gesetz ein, um Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu verteidigen. Darauf muss das oberste Gericht reagieren. Die Augen sind nun auf die Gerichtspräsidentin und ihre Kollegen gerichtet. Kann Esther Hayut Israels Demokratie retten?
Die Tochter von rumänischen Auschwitz-Überlebenden hat schon in früher Kindheit gelernt, sich durchzusetzen. Sie wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter in Herzliya, nördlich von Tel Aviv, auf. Sie diente bei den israelischen Verteidigungsstreitkräften und gab schliesslich in der Militär-Combo als Solo-Sängerin den Ton an. Sie heiratete einen Juristen, gebar zwei Söhne. Nach ihrem Jus-Studium wurde Hayut 1990 zur Richterin ernannt und 2003 in den obersten Gerichtshof gewählt.
Kann Hayut das Gesetz noch vor ihrer Pensionierung kippen?
Seit 2017 führt sie den Vorsitz. Im Oktober geht Esther Hayut in Pension. Bis dahin könnte die resolute Juristin Premier Benjamin Netanyahu (73) und seiner Koalition noch viele Steine in den Weg legen – wenn es nach ihr ginge.
«Esther Hayut allein kann das nicht entscheiden. Im Panel werden alle 15 Richter des Gerichtshofs vertreten sein. In den obersten Gerichtshof wurden in den letzten Jahren auch mehr konservative Richter gewählt», sagt Israel-Experte Peter Lintl, «die Situation ist aber alles andere als einfach.» Israel habe keine Verfassung, sondern verschiedene Grundgesetze. «Bislang konnte der oberste Gerichtshof die Angemessenheit von Regierungshandlungen überprüfen», sagt der deutsche Politikwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Beim ersten Vorstoss in der Justizreform aber gehe es um ein Grundgesetz, und es sei nicht klar, ob das oberste Gericht über eine solche Änderung überhaupt verhandeln könne. «Es gibt keine festgeschriebenen Richtlinien», so Lintl. «Das ist rechtswissenschaftliches Neuland. Fraglich bleibt auch, ob die Regierung das Urteil des Gerichts akzeptieren würde. Falls nicht, erreicht die Staatskrise einen neuen Höhepunkt, weil nicht mehr klar ist, welche der Institutionen im Recht ist und was das für etwa Polizei oder Militär bedeutet.»