Trump, Vance und Selenski geben sich Saures
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Streit im Oval Office:Trump, Vance und Selenski geben sich Saures

Essay zum Eklat in Washington
Die Geschichte wird ihr Urteil sprechen

Selenskis Rauswurf aus dem Weissen Haus ist eine Mahnung: Heute zählt nicht mehr links oder rechts, sondern ob man aufseiten der Zivilisation oder jener der Barbarei steht. Der Schriftsteller Klaus Mann hat diese Entscheidung schon einmal trefflich beschrieben.
Publiziert: 02.03.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2025 um 10:49 Uhr
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Historische Eskalation: Am Freitag wurden Selenski und Trump im Weissen Haus laut.
Foto: AFP
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

So unsouverän wie am Freitag wirkte Donald Trump noch nie. Das Video vom Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski im Weissen Haus dokumentiert einen beispiellosen Eklat zwischen den beiden Staatsoberhäuptern.

Sekundiert von seinem Vize J. D. Vance wird Trump, der Widerspruch schlecht verträgt, bemerkenswert laut. Selenski verlangte vor einem Friedensvertrag mit Russland Sicherheitsgarantien – über den Krieg hinaus. Also mehr, als ihm angeboten wurde, was Trump erzürnt: «Ohne unsere Waffen wären Sie in zwei Wochen erledigt», keift er seinen Besucher an. Womit der Gastgeber im Weissen Haus zweifellos richtig liegt. «Haben Sie heute schon Danke gesagt?», ruft Vance dazwischen.

Selenski mag mit der Missachtung diplomatischer Gepflogenheiten einen schweren Fehler begangen haben – bei seinem Gegenüber trifft er jedoch einen Nerv: «Sie haben einen hübschen Ozean dazwischen. Aber auch Sie werden es in der Zukunft spüren.» Was er meint, ist Putins Gewohnheit, Abkommen zu brechen. «Diktieren Sie uns nicht, was wir spüren sollen!», gibt Trump mit hochrotem Kopf zurück.

Äussert der Gast im Military-Look möglicherweise eine Vorahnung davon, was es heissen wird, sich auf einen Pakt mit dem Herrscher in Moskau einzulassen? Haben die Herren im Anzug Angst vor den Zeichen an der Wand, auf die Selenski deutet?

Selenski wird das überstehen

Mit dem Präsidenten der Ukraine hat Trump jemanden vor sich, der mindestens ebenso «badass» ist wie er selbst. Dessen Nation sieht sich einer Atommacht gegenüber, deren Armee seit 2022 täglich Wohnhäuser, Schulen, Bahnhöfe, Kraftwerke, Kirchen und Theater bombardiert. Wer so etwas drei Jahre lang durchhält, übersteht auch ein Wortgefecht im Weissen Haus. Doch der Ukrainer geht ein enormes Risiko ein – sein Schicksal und das Schicksal Europas hängen an der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten.

Umso verstörender klingt die salbungsvolle Rhetorik des US-Präsidenten, wenn er vom Kriegsherrn Wladimir Putin spricht. Sogar die sonst zurückhaltende «NZZ» stellt bitter fest: «Offenkundig hegt Trump mehr Sympathien für den russischen Diktator und seine Geschichtsklitterung als für eine unabhängige Ukraine.»

Selbst wenn Trumps Friedensbemühungen ernst gemeint sind und sein direkter Zugang zum Kreml-Chef sich vielleicht dereinst als Segen erweist: Mit seinem Lavieren zwischen dem Aggressor und der angegriffenen Nation offenbart der US-Präsident eine Geisteshaltung, die dieser Tage weit verbreitet ist. Beim Small Talk macht man sich gerne interessant, indem man auf die massive Korruption in der Ukraine verweist und Moskaus Schuld relativiert, weil doch der Westen immer wieder «gezündelt» habe. So werden beim gepflegten Tischgespräch die Verhältnisse in diesem Angriffskrieg bis ins Unscharfe verwischt.

Klarheit wird erst die Zukunft bringen. Nur aus zeitlicher Distanz werden die moralischen Verwerfungen hinter dem Nebel der Gegenwart deutlich. Dafür liefert die Geschichte genügend Beispiele.

Besonders hart ging der deutsch-amerikanische Exilschriftsteller Klaus Mann (1906–1949) mit seinen Zeitgenossen ins Gericht, die den Aufstieg von Adolf Hitler zu Beginn fatal falsch einschätzten. In seinen 1952 erschienenen Memoiren «Der Wendepunkt» schreibt er: «Wie die Repräsentanten der kapitalistischen Demokratie sich foppen liessen von dem verhinderten Lustmörder aus der österreichischen Provinz!» Mann weiter: «Vom Foreign Office in London bis zur Kanzlei des Heiligen Vaters in Rom, von Detroit bis zur Ruhr, von den ostelbischen Klitschen bis zu den aristokratischen Salons des Faubourg St. Germain, überall wird die Etablierung der deutschen Diktatur mit heiterem Wohlwollen aufgenommen.»

Sogar in Moskau sei man zunächst «hoffnungsvoll» gewesen, nach dem Motto: «Was den Sozialdemokraten schadet, muss gut für die Kommunisten sein, und übrigens kann die Weltrevolution am Chaos nur profitieren …» Wohin das «heitere Wohlwollen» gegenüber der NS-Diktatur führen sollte, wurde so viel zu spät erkannt.

Nein, Putin ist kein Hitler. Die Sowjets bezahlten den Sieg über das Dritte Reich mit einem hohen Blutzoll. Es wäre auch reichlich simpel, Trump als Lakaien Putins zu betrachten. Selenski wiederum ist kein Heiliger. Auch im SonntagsBlick wurde der Präsident in Kiew schon kritisiert, weil er sich mithilfe des Kriegsrechts vor den nächsten Wahlen drückt und weil die Ukrainer vom aggressiven Gebaren ihrer Streitkräfte gegenüber den Dienstpflichtigen genug haben.

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Jetzt zählt das Grundlegende

Doch besonders in wirren Zeiten gilt es, das Grundlegende im Auge zu behalten: Wenn man sich nicht mehr im Restaurant begegnen oder seine Kinder zur Schule bringen kann, ohne jede Sekunde mit einem Mörserangriff rechnen zu müssen, bedeutet dies das Ende der Zivilisation. Nicht zuletzt darum ist die modische Täter-Opfer-Umkehr in diesem Krieg besonders perfide.

Das Muster ist nicht neu. Klaus Mann enervierte sich schrecklich über die Liederlichkeit der Kulturschaffenden seiner Zeit, die das aufziehende Unheil mit offenen Augen übersahen: «Manche scheinen den Krieg als eine Art von imperialistisch-kapitalistischer Verschwörung aufzufassen, eine Ansicht, die gerade in links-radikalen Kreisen recht verbreitet ist. Solange sich Moskau und Berlin vertragen, finden die Kommunisten das demokratische England ‹mindestens ebenso schlimm› wie das faschistische Deutschland. Wie soll man da diskutieren?»

Wortreich beklagt der Sohn Thomas Manns die Schuldumkehr durch die Partei-Organe der US-Kommunisten, die «ihren ganzen Hass auf ‹die Kriegshetzer in Washington› konzentrieren, während sie an den Friedensfürsten in Berlin ‹revolutionäre Züge› entdecken».

Die Parallelen von Manns Beschreibung des Ungeists der Dreissigerjahre mit heutigen Tendenzen sind beklemmend. Die politischen Vorzeichen mögen nach dem ersten Viertel des 21. Jahrhunderts völlig unterschiedlich sein, eine Mahnung sind sie doch: Die Aufteilung der politischen Lager in links und rechts ist von gestern. Heute zählt etwas anderes: ob man auf der Seite der Zivilisation oder auf der Seite der Barbarei steht. Die Geschichte wird ihr Urteil sprechen.

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