US-Präsident Joe Biden (81) hat mit der überraschenden Bekanntmachung eines Vorschlags für ein Geisel- und Waffenstillstandsabkommen im Gaza-Krieg den Verbündeten Israel in die Pflicht genommen und zugleich den Druck auf die islamistische Hamas deutlich erhöht.
Biden bezeichnete den Vorschlag als einen «Fahrplan» für einen «dauerhaften Waffenstillstand» im Gazastreifen, der die Freilassung von etwa 128 Geiseln sichern würde, die sich nach wie vor in der Gewalt der Hamas befinden. «Es ist an der Zeit, diesen Krieg zu beenden», sagte Biden am Freitag im Weissen Haus. «Israel hat seinen Vorschlag gemacht. Die Hamas sagt, sie wolle einen Waffenstillstand. Dieser Deal ist eine Gelegenheit zu beweisen, ob sie es wirklich ernst meinen», sagte Biden. Doch wie sieht dieser Plan aus? Blick liefert eine Übersicht.
Was ist in dem Plan enthalten?
Konkret beruht der Plan auf drei Phasen. In einem ersten Schritt ist ein sechswöchiger Waffenstillstand und der Rückzug der israelischen Streitkräfte aus den dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens vorgesehen. Gleichzeitig soll die Hamas eine grössere Gruppe von Geiseln freilassen, darunter Frauen, ältere Menschen und Verwundete.
Im Gegenzug würden «Hunderte» palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen auf freien Fuss kommen. Schliesslich soll in der ersten Phase auch die humanitäre Hilfe nach Gaza aufgestockt werden. Gemäss Bidens Äusserungen zum Deal könnten 600 Lastwagen pro Tag Hilfsmittel ins Kriegsgebiet transportieren.
Während des sechswöchigen Waffenstillstandes sollen Israel und die Hamas dann über die zweite Phase des Plans verhandeln, die schliesslich zu einem dauerhaften Ende der Kämpfe und der Freilassung aller verbliebenden Geiseln führen soll.
Zu guter Letzt sieht die dritte Phase Schritte für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Gazastreifens nach dem Krieg vor. Ebenfalls sollen die sterblichen Überreste der toten israelischen Geiseln an ihre Familien zurückgeführt werden.
Wie wird der Plan bei den Konfliktparteien aufgenommen?
In einer ersten Reaktion erklärte der hochrangige Hamas-Vertreter Bassem Naim, man sehe die von Biden vorgebrachten Absichten positiv, besonders das Ziel eines dauerhaften Waffenstillstands. «Wenn die Hamas den Vorschlag ablehnt, wird die Regierung Biden dies nutzen, um zu argumentieren, dass sie alles getan hat, um einen Waffenstillstand zu erreichen, und dass die Hamas für die Fortsetzung der Gewalt verantwortlich ist», kommentierte Jonathan Panikoff von der US-Denkfabrik Atlantic Council Bidens Rede gegenüber der US-Zeitung «Wall Street Journal».
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (74) sagte unterdessen am Abend nach Angaben seines Büros, dass der Krieg erst beendet werde, wenn alle Ziele erreicht seien. Dazu gehöre die Zerstörung der Hamas und die Rückkehr aller Geiseln. Die USA und Bidens Rede fanden in der knappen Mitteilung keine Erwähnung.
Warum hat Biden den Plan öffentlich gemacht?
Mit der überraschenden Präsentation des Plans erhöht Biden den Druck auf beide Kriegsparteien, die Kämpfe einzustellen. Man habe es für wichtig gehalten, die Details publik zu machen, da die Vorschläge von Gegnern des Deals sonst öffentlich anders dargestellt würden. Er sei in mühevoller Kleinarbeit ausgearbeitet worden, «und er ist fast identisch mit dem, was die Hamas selbst vor ein paar Wochen vorgeschlagen hat», erklärte ein Regierungsvertreter.
Wie stehen die Chancen des Plans?
Seit Wochen vermitteln die USA, Ägypten und Katar zwischen Israel und der Hamas um eine Freilassung der restlichen Geiseln und eine Feuerpause in dem Konflikt zu erreichen. Bislang führten die Gespräche nicht zum Erfolg. Die Hamas hatte erst am Donnerstag gesagt, Voraussetzung für die Geiselfreilassung sei ein Ende des Krieges. Israel lehnt das bisher ab.
Bidens Strategie bestehe darin, Israel und die Hamas dazu zu bringen, sich auf ein Waffenstillstandsabkommen zu einigen, das die Dynamik auf dem Schlachtfeld brechen und den Krieg beenden könnte, sagte Aaron David Miller, Senior Fellow bei der Carnegie-Stiftung, dem «Wall Street Journal». «Ob die Israelis das glauben werden, ist eine andere Frage.» Netanjahu meine wahrscheinlich, dass er den Krieg nach der ersten Phase fortsetzen könne – oder rechne damit, dass die Hamas das Abkommen von vornherein ablehne, sagte Miller.