Auf einen Blick
- Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen erfordert Kreativität und Flexibilität
- CDU lehnt Zusammenarbeit mit AfD und Linken strikt ab
- Ohne die AfD wird das Regieren nicht einfach
In Deutschland könnte bald wieder eine Mauer fallen. Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sind mehrere Bündnisse vorstellbar. Klar ist aber: Die Regierungsbildung wird in beiden Bundesländern Kreativität und Flexibilität erfordern.
In Thüringen (rund 2,1 Millionen Einwohner) ist die AfD klar stärkste Kraft, dahinter folgen CDU und das BSW, das Bündnis der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (55).
Im grösseren Bundesland Sachsen (rund 4 Millionen Einwohner) erreicht die CDU den ersten Platz. Knapp dahinter folgt die AfD. Auch in Sachsen wird das BSW drittstärkste Kraft.
Die AfD ist damit stark wie nie zuvor, aber mitregieren wird sie in beiden Bundesländern wohl trotzdem nicht.
Alle gegen die AfD in Thüringen
In Thüringen leitete AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke (52) aus dem Ergebnis einen Regierungsauftrag ab. «Als stärkste Kraft habe ich den Anspruch, die Regierung zu bilden», sagte er am Sonntag. Er wolle die anderen Parteien zu Gesprächen einladen. Zusagen sind jedoch keine zu erwarten, weil alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschliessen.
Stattdessen richten sich die Augen in beiden Bundesländern auf die CDU. Obwohl die Christdemokraten als traditionell konservative Partei mit der AfD durchaus Überschneidungen haben – in der Wirtschaftspolitik, beim Familienmodell oder in der Asyldebatte –, spricht der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (68) seit Jahren von einer Brandmauer zur AfD, die eine Zusammenarbeit verbiete.
«Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an», sagte Merz im Dezember 2021.
Gleichzeitig werden in Deutschland grosse Studien verfasst, in denen jede Kooperation mit der AfD, also beispielsweise gemeinsames Abstimmungsverhalten, als brandgefährlich angeprangert wird.
Dennoch sind längst nicht alle Mitglieder der CDU abgeneigt, mit Höcke und Co. zusammenzuarbeiten.
Auch Sahra Wagenknechts Partei hat Überschneidungen mit der AfD – bei der Migration oder der Russland-freundlichen Aussenpolitik. Doch auch Wagenknecht kann sich eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht vorstellen, wie sie am Montag erneut bestärkte.
Noch klarer sind die Abgrenzungen bei den anderen Parteien. Im nächsten Erfurter Landtag braucht es für eine Mehrheit ohne AfD deshalb einen Zusammenschluss der vier anderen Parteien. Doch auch hier steht eine CDU-Brandmauer im Weg – jene zur Linken, der Nachfolgerin der ostdeutschen SED.
An einer Pressekonferenz am Montag bekräftigte Friedrich Merz erneut, dass die CDU auch in Thüringen bei ihren Brandmauern bleibe. «Wir haben einen klaren Beschluss, dass wir weder mit der AfD noch mit der Linken regieren», sagte er. In diesem Fall wird es in Erfurt keine Landesregierung mit Parlamentsmehrheit geben.
Mögliche Minderheitsregierung
Denn CDU, BSW und SPD kämen nach jetzigem Stand nur auf 44 Sitze. Die Mehrheit von 45 Sitzen würde knapp verfehlt. Die CDU bräuchte also die Linkspartei, die in Thüringen mit Bodo Ramelow (68) bisher den Ministerpräsidenten gestellt hatte.
Vorstellbar wäre alternativ eine Minderheitsregierung unter Leitung der CDU, die von den anderen Parteien toleriert würde. Die Regierung wäre dann für jede Entscheidung auf die anderen Parteien angewiesen. Erschwert würde die Arbeit dadurch, dass die AfD in Thüringen auf eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen kommt.
Am Montagabend wollen die Thüringer CDU-Gremien eine erste Linie des Umgangs mit dem Wahlergebnis festlegen. Das wird nicht ohne Streit über Brandmauern ablaufen.
Für die CDU-Abgeordnete Martina Schweinsburg ist klar, dass man mit der Partei ins Sondierungsgespräch gehen müsse. «Diese Pippi-Langstrump-Politik, in der man sagt: ‹Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen›, ist gescheitert», sagt die Politikerin der «Zeit». Schweinsburg plädiert dafür, mit allen Parteien ins Gespräch zu gehen – auch mit den Linken. Es könne durchaus sein, dass man keine Schnittmenge finde, erklärt sie.
Auch in Sachsen braucht es eine neue Koalition
In Sachsen hat die bisherige Regierung aus CDU, SPD und Grünen keine Mehrheit mehr. Auch ein Bündnis aus CDU und BSW allein reicht nicht aus. Hier bräuchte es einen dritten Partner – die Grünen, die SPD oder die Linke.
Will die CDU also sowohl in Sachsen als auch in Thüringen regieren, muss sie eine Brandmauer einreissen oder zumindest aushöhlen. Dabei erscheint es wahrscheinlicher, dass jene auf der linken Seite fallen wird – obwohl die Partei inhaltlich stärkere Überschneidungen zur AfD hätte. Die offen rechtsradikalen Teile der AfD verhindern jedoch eine Kooperation.
Alle gegen die AfD: Ob diese Strategie die Partei sogar weiter stärken wird, ist noch offen. Zu einer Schwächung der Rechtspopulisten hat der Bau von Brandmauern bisher jedenfalls nicht geführt. Zwar hat sich in Italien bei Matteo Salvini (52) und Giorgia Meloni (47) oder in den Niederlanden bei Geert Wilders (60) gezeigt, dass auch das Einbinden in Regierungen zu einem weiteren Aufstieg führen kann. Dennoch scheint es fraglich, wie lange in Deutschland eine Partei, die in zwei Bundesländern über 30 Prozent der Wähler vertritt, faktisch einfach ausgeschlossen werden kann.