Wahlbeben in Deutschland
Rechtsextreme und linke Populisten auf dem Vormarsch

In Thüringen und Sachsen erzielte die AfD unter Björn Höcke bei den Landtagswahlen historische Erfolge. Ein Denkzettel an die Regierung in Berlin.
Publiziert: 01.09.2024 um 20:50 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2024 um 21:23 Uhr
Trotz fehlender Koalitionsaussichten sieht Thüringens AfD-Chef Björn Höcke den Regierungsauftrag nach der Landtagswahl in dem ostdeutschen Bundesland bei seiner Partei.
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Schon seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 hat der Osten anders gewählt als der Westen der Republik. Die Parteienbindung der Bürger ist zwischen Ostsee und Erzgebirge weniger ausgeprägt, was sich auch in geringeren Mitgliederzahlen widerspiegelt. Proteststimmen derjenigen, die sich als «Verlierer der Einheit» wirtschaftlich und sozial abgehängt fühlten, gingen oft an Parteien am Rand des politischen Spektrums.

War es zunächst die aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangene Linke, die das Protestvotum auf sich vereinigte und in Thüringen in den vergangenen zehn Jahren sogar den Ministerpräsidenten – Bodo Ramelow - stellte, so hat ihr die in Teilen rechtsextreme AfD jetzt endgültig den Rang abgelaufen. In Thüringen wurde die dort vom Rechtsaussen Björn Höcke geführte Partei bei der Landtagswahl am Sonntag erstmals stärkste Kraft. Auch im benachbarten Sachsen knackte sie die 30-Prozent-Marke.

Aber nicht nur bei den Rechtspopulisten knallten am Sonntag die Sektkorken. Aus dem Stand heraus schaffte das erst um die Jahreswende gegründete linkspopulistische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Sachsen wie in Thüringen zweistellige Ergebnisse. Es handelt sich um eine Abspaltung von der Linken unter Führung der Bundestagsabgeordneten Wagenknecht. In Sachsen musste die Linke um den Wiedereinzug in den Landtag zittern.

Migrationsfrage an erster Stelle

Für die Berliner Ampel-Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurden die von den Meinungsforschern recht gut vorausgesagten Ergebnisse vom Sonntag ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl zum erwarteten Denkzettel. Die Gründe sind vielfältig, doch dürfte das Thema Migration an erster Stelle stehen. Die Unterbringung der Zuwanderer überfordert Gemeinden und Landkreise. Gewalttaten wie kürzlich in Solingen, wo ein eigentlich ausreisepflichtiger, abgelehnter Asylbewerber aus Syrien drei Menschen ermordete und acht weitere verletzte, heizten die Stimmung zusätzlich an.

«Brauchen wir grundsätzlich eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik, damit weniger Menschen zu uns kommen?» - diese Frage wurde in einer am Wahlabend von der ARD veröffentlichten Umfrage von infratest dimap von 81 Prozent der Befragten in Sachsen und Thüringen bejaht. 36 Prozent der AfD-Wähler sagten dem Institut, dass das Thema Zuwanderung für ihre Wahlentscheidung die grösste Rolle gespielt habe. 35 Prozent nannten Kriminalität und innere Sicherheit.

Kompetenzen sprachen die Befragten der AfD in Sachsen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Kriminalitätsbekämpfung, der Vertretung der ostdeutschen Interessen und der Politik gegenüber der Ukraine und Russland zu.

Beim Thema Russland begegnen sich rechte AfD und linkes BSW: Beide sind gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Das trifft den Nerv vieler Ostdeutscher, die dem Westen zumindest eine Mitschuld am Ukrainekrieg geben und glauben, dass die Sanktionen gegen Russland der eigenen Wirtschaft mehr schaden als der russischen. Anders als die Linke, aus der es hervorgegangen ist, plädiert das BSW auch für eine Verringerung der Zuwanderung, wohl mit ein Grund für sein starkes Abschneiden bei seinen ersten Landtagswahlen.

Scholz für die Mehrheit kein guter Bundeskanzler

Als «die Rache des Ostens» hatte der Ost-Berliner Theaterregisseur Frank Castorf die AfD jüngst bezeichnet. Doch schon bei der Europawahl im Juni hatten die drei Parteien der Ampel mit bescheidenen 31 Prozent deutschlandweit schwach abgeschnitten. In Sachsen und Thüringen kamen sie nun zusammen auf nicht einmal halb so viel. Laut infratest dimap befanden nur noch 17 Prozent der Befragten in Sachsen und Thüringen, dass Olaf Scholz ein guter Bundeskanzler sei, 74 Prozent befanden, er werde seiner Führungsverantwortung als Kanzler nicht gerecht.

Dazu mag beigetragen haben, dass der Regierungschef im Herbst vorigen Jahres in einem Interview «Abschiebungen im grossen Stil» forderte, die tatsächliche Zahl der Abschiebungen 2024 aber nur sehr langsam gestiegen ist. Scholz habe mit seiner Ankündigung eine «Erwartungsfalle» geschaffen, befand der Politikwissenschaftler Hans Vorländer wenige Tage vor der Wahl. Hinzu kommen die ständigen Streitereien der Ampel-Partner untereinander. «Die Landtagswahl ist eine gute Gelegenheit, den Regierungsparteien einen Denkzettel zu verpassen», dieser Aussage stimmten laut infratest dimap 58 Prozent der Thüringer und Sachsen zu.

AfD in Umfragen vorn

Auch als stärkste Partei dürfte die AfD in Thüringen weiter die Oppositionsbänke drücken, weil keine andere Partei mit ihr zusammenarbeiten will und so der Landtag in Erfurt AfD-Landeschef Björn Höcke nicht zum Ministerpräsidenten wählen wird. Spannend wird es im Osten Deutschlands noch einmal in drei Wochen - am 22. September - wenn eine weitere Landtagswahl ansteht, diesmal im Bundesland Brandenburg.

Auch dort liegt die AfD in Umfragen vorn. Für die SPD ist es eine sehr wichtige Wahl, denn sie stellt dort sie den Ministerpräsidenten, Dietmar Woidke, der um seine Wiederwahl kämpft. In der Landeshauptstadt Potsdam hat Scholz seinen Bundestagswahlkreis. Doch Wahlkampfauftritte des unpopulären Kanzlers wünschen die Genossen in Brandenburg ausdrücklich nicht.

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