In Thüringen und Sachsen wurde am Sonntagabend Geschichte geschrieben: Die AfD gewinnt erstmals eine Landtagswahl, das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erzielt historische Ergebnisse für eine so junge Partei. Diese Ergebnisse führen der Ampelregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (66) etwas schmerzlich vor Augen: Es scheint, als hätten die etablierten Parteien in Deutschland ausgedient. Politik-Experte Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel, erklärt, warum die Regierungsparteien keine Chance gegen AfD und BSW haben.
Was bedeutet das Ergebnis für die Ampelkoalition?
Es sind historische Ergebnisse. Laut den ersten Hochrechnungen erhält die AfD in Thüringen mehr Stimmen, als die drei Regierungsparteien zusammen. «Der Osten ohrfeigt die Ampel», titelt das Newsportal «Focus» am Sonntagabend. Das sieht auch Wolfgang Schroeder, Experte für deutsche Politik an der Uni Kassel, so, wie er im Gespräch mit Blick erklärt. «In Thüringen erhalten die AfD und das BSW gemeinsam beinahe 50 Prozent der Stimmen. Das heisst: Rund 50 Prozent der Wähler in Thüringen und Sachsen haben kein positives Verhältnis mehr zu etablierten Parteien und der von ihnen praktizierten Demokratie.»
Tatsächlich zeigt das Ergebnis der Ostwahlen ganz deutlich: Die deutsche Bevölkerung hat die Schnauze voll von der Ampel. Die SPD, immerhin die Partei, die den aktuellen Bundeskanzler stellt, schnitt noch nie in ihrer Geschichte so miserabel an Landtagswahlen ab. In Thüringen fliegen laut den ersten Hochrechnungen direkt zwei der drei Ampelparteien (FDP und die Grünen) aus dem Landtag: Sie erreichen die erforderlichen fünf Prozent nicht. In Sachsen bleiben zumindest die Grünen knapp dabei – Stand Sonntagabend.
Braucht Deutschland jetzt Neuwahlen?
Diese Forderung wurde schon lange vor den Ostwahlen laut – nach diesem miserablen Ergebnis könnte die Ampelregierung unter noch stärkerem Druck stehen. Aber Experte Schroeder betont: «Nein. Das ist überhaupt kein guter Zeitpunkt für Neuwahlen.» Schliesslich hat die Ampelkoalition nur noch ein knappes Jahr zu regieren – und eigentlich beginne laut Schroeder ja jetzt schon der Wahlkampf für die Bundeswahl im September 2025.
Apropos nächste Wahlen: Die Ostwahlen sind ein klarer Vorbote für den Rest des Landes. Was in Thüringen und Sachsen zu sehen ist, ist kein «Ostphänomen» – sondern ein Warnschuss an die etablierten Parteien Deutschlands. Schroeder erklärt: «In Ostdeutschland können wir, wie unter einer Lupe, beobachten, was bei den nächsten nationalen Wahlen passieren könnte.»
Was passiert jetzt in Thüringen und Sachsen?
Wie schwierig ein solcher Trend für die Regierungsbildung sein kann, zeigt sich in Ostdeutschland. Auch wenn das offizielle Wahlergebnis noch auf sich warten lässt: In Thüringen wird die AfD klar auf Platz eins landen, in Sachsen knapp hinter der CDU auf Platz zwei. Somit ist die Partei vom rechten Rand aktuell die dominante politische Kraft in Ostdeutschland. Wobei – von einer Randerscheinung kann man bei einem Wahlergebnis von über 30 Prozent eigentlich nicht mehr sprechen.
Mit ihrem Wahlergebnis könnte die AfD im Thüringer Landtag eine Sperrminorität stellen. Heisst: Die Partei hat genügend Stimmen, um wichtige Entscheidungen im Landtag zu blockieren. Auch das BSW wird wohl einen grossen Einfluss auf die Regierung in den beiden Ländern nehmen. Um mehrheitsfähig zu sein, muss die CDU wohl mit der SPD und dem BSW koalieren. Denn ein Zusammenschluss mit der AfD komme für die Christdemokraten nicht infrage. So oder so: Es zeichnet sich das Bild eines zerrütteten Landtags ab.
Wie geht es jetzt weiter für Deutschland?
Der Osten macht vor, was in ganz Deutschland passieren könnte. «In Ostdeutschland könnten wir experimentelle Formen des Regierens erleben», sagt Schroeder. «Etablierte Parteien müssen sich womöglich auf einen Partner einlassen, über den man kaum etwas weiss – vor allem inhaltlich nicht.» Für ihn ist klar: «Es wird eine Destabilisierung der Mitte geben und das könnte zu einer sehr unklaren politischen Zukunft führen.»
Das klingt erstmal bedrohlich – muss es aber nicht sein. «Parteien müssen sich permanent an neue Bedingungen anpassen», erklärt Schroeder. Parteien müssen sich an die Bedürfnisse der Bevölkerung anpassen – und das gelingt neuen Parteien augenscheinlich besser als den aktuellen Regierungsparteien: Erstmals wurde die AfD laut Infratest dimap bei einer Landtagswahl mehrheitlich aus Überzeugung und nicht aus Enttäuschung gewählt.