Seit die Russen am 24. Februar in die Ukraine einmarschierten, sind Leid, Trauer und Zerstörung zum Alltag der Bewohner geworden. Besonders brutal traf es Butscha.
Am 27. Februar besetzten die Russen den Vorort von Kiew mit dem Ziel, kurz darauf auch die Hauptstadt einzunehmen. Dieser Plan scheiterte. Doch in Butscha blieben Putins Truppen und richteten ein Blutbad an. Das bekam die Öffentlichkeit allerdings erst am 1. April mit, als die Russen wieder abzogen, weil sie ihre Kräfte in anderen Gebieten zusammenzogen.
Als die Ukrainer in das Städtchen zurückkehrten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens: Auf Strassen, in Gärten oder in Autos lagen Leichen. Schlagartig wurde der Weltöffentlichkeit klar, welche grausamen Kriegsverbrechen russische Truppen gegenüber unschuldigen Zivilisten verübt hatten.
458 tote Menschen
Diese Woche, mehr als vier Monate nach dem Abzug der Russen, haben die Behörden von Butscha an einer Pressekonferenz erstmals Zahlen zu den Toten veröffentlicht. 458 Leichen fanden sie. 419 davon hätten entweder Schusswunden oder Zeichen, dass sie zum Tode gefoltert oder totgeprügelt wurden, aufgewiesen. Dies sei die wohl die genauste Opferzahl, die die Behörden je vom Massaker in Butscha haben würden, zitiert die «Washington Post» Mykhailyna Skoryk-Shkarivska, stellvertretende Bürgermeisterin Butschas.
39 der Opfer seien vermutlich eines natürlichen Todes gestorben, wobei dies in einigen Fällen durchaus mit der Behandlung während der Besetzung zusammenhängen könne. Dazu gehören eine scheinbar gesunde 34-jährige Mutter, die an einem Herzinfarkt starb, während sie mit ihren drei kleinen Kindern, die tagelang neben ihrer toten Mutter eingeschlossen waren, in einem Keller Schutz vor den Bombardierungen suchte, und eine ältere Frau, die allein mit ihrer Schwester lebte und starb, kurz nachdem ihre Schwester von russischen Truppen erschossen worden war.
In Brunnen gestopft und im Wald zurückgelassen
Dass es vier Monate dauerte, um die Zahl der Toten des 32 Tage dauernden Massakers zu ermitteln, zeigt, wie schrecklich die Verbrechen waren. Skoryk-Shkarivska sagt, die Leichen seien auf Strassen verstreut, in Brunnen gestopft oder tief im Wald zurückgelassen worden. Weil Strom- und Internetverbindungen unterbrochen gewesen seien, hätten die ersten dokumentierten Beweise zudem von Hand geschrieben werden müssen.
Nach wie vor habe man es nicht geschafft, sämtliche Toten zu identifizieren. Bei rund 50 Leichen sei die Identität noch immer unbekannt.
Einige Leichen wurden verbrannt
Die endgültige Zahl umfasse auch einen Beutel mit Leichenteilen, sagte Skoryk-Shkarivska laut «Washington Post». Die Überreste seien zu zersplittert, verwest oder stark verstümmelt gewesen, um identifiziert werden zu können. Sie dürften aber zu mehreren Personen gehören, möglicherweise auch zu einigen russischen Soldaten.
Während die Russen die meisten Leichen unbeaufsichtigt verrotten liessen, haben sie auch einige verbrannt, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin weiter. Möglicherweise aus hygienischen Gründen oder um Folterspuren zu verbergen, mutmasst sie. Einige Überreste hätten aus Aschehaufen bestanden, die selbst durch DNA-Analysen nicht identifiziert werden konnten.
Meist männliche Opfer und ein paar Kinder
Dafür sei klar, dass fast alle der Toten Zivilisten gewesen seien. Denn die Leichen der ukrainischen Soldaten in Butscha seien den Behörden übergeben und gesondert gezählt worden.
Insgesamt seien 366 der Leichen männlich und 86 weiblich gewesen. Neun von ihnen waren Kinder unter 18 Jahren. Fünf Leichen waren in einem zu schlechten Zustand, um sie zu bestimmen.
Vor dem Krieg hatte Butscha knapp 40'000 Einwohner. Die «Washington Post» berichtet von Schätzungen, laut denen vor dem Eintreffen der Russen einem Grossteil die Flucht gelang. Rund 4000 aber seien zurückgeblieben, das bedeutet, dass jeder Zehnte von ihnen in diesen 32 Tagen starb.
Denkmal für die Toten soll errichtet werden
Nun hofft das ganze Land, dass sich diese Opferzahlen nicht mal ansatzweise in anderen Städten und Dörfern wiederholen, die derzeit unter russischer Besatzung stehen. Das sind rund 20 Prozent des gesamten ukrainischen Territoriums, wie Präsident Wolodimir Selenski (44) Anfang Juni sagte.
Die Vizebürgermeisterin Skoryk-Shkarivska sagte an der Pressekonferenz, dass man die Bemühungen um die Identifizierung der Opfer fortsetzen werde. Die Stadt sei entschlossen, jedem der Toten einen Namen zu geben und ihnen mit einem Denkmal zu gedenken. Sollte das nicht gelingen, würde die Stadt den anonymen Toten anderweitig gedenken und ihnen eine Beerdigung zukommen lassen. (vof)