Mit ihm hat niemand gerechnet: Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (62) übernimmt in Berlin das Amt des Verteidigungsministers. Der SPD-Politiker folgt auf Christine Lambrecht (57), die am Montag nach einer beispiellosen Pannenserie zurücktrat. Er soll das Amt an diesem Donnerstag von ihr übernehmen.
Pistorius ist schon seit 2013 Innenminister in Niedersachsen. Vor wenigen Monaten begann seine dritte Amtszeit. Von 2006 bis 2013 war er Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück. Pistorius gilt als erfahrener Polit-Manager. Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich Pistorius in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreichen Fachpolitiker erworben. Auch wenn er stets in Niedersachsen blieb, war er auch an der innenpolitischen Positionierung der Bundes-SPD in Wahlkämpfen und an Koalitionsverhandlungen beteiligt.
Idealbesetzung für «Schleudersitz»
Bei den Innenministerkonferenzen machte es dem als pragmatisch geltenden Pistorius immer sichtlich Freude, sich mit Konservativen wie dem früheren CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer (73) auf offener Bühne zu streiten, schlagfertig, mit spitzen Bemerkungen, aber nie respektlos. Zur Idealbesetzung für den Posten macht Pistorius vielleicht auch sein Alter. Mit 62 Jahren kann ein Politiker schliesslich ganz entspannt das Chefbüro im Verteidigungsministerium beziehen, das gemeinhin als Schleudersitz und damit auch als potenzieller Karrierekiller gilt.
Pistorius wurden immer wieder Ambitionen für ein politisches Amt auf Bundesebene nachgesagt. Es gab beispielsweise Gerüchte, er könnte Bundesinnenminister werden, sofern die jetzige Amtsinhaberin Nancy Faeser (52) bei der Landtagswahl in Hessen als Spitzenkandidatin für die SPD antritt.
Damit machte er von sich reden
Als Innenminister von Niedersachsen engagierte sich Pistorius bei der Bekämpfung des islamischen Terrorismus. 2017 ordnete er an, zwei in Deutschland geborene Muslime abzuschieben, noch bevor diese eine Straftat begingen. Der Fall erregte grosses Aufsehen. Den Verdächtigen wurde vorgeworfen, einen Terroranschlag geplant zu haben. Bei Hausdurchsuchungen waren Waffen, Munition, Flaggen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und Datenträger beschlagnahmt worden.
Der 62-Jährige macht sich für eine deutliche personelle Stärkung der Bundespolizei und eine verbesserte Bekämpfung von Kriminalität im Internet stark. In einem Schwerpunktprogramm zur Innenpolitik der SPD sprach er sich für die Erschaffung einer EU-Polizei nach dem Vorbild der US-Bundespolizei FBI aus. Pistorius tritt ausserdem für eine Vorratsdatenspeicherung im Internet ein. Es gebe «aufgrund der Sicherheitserfordernisse ein dringendes Bedürfnis, auch auf Telekommunikationsdaten zuzugreifen», sagte der SPD-Politiker in einem Interview.
Schwerer Schicksalsschlag
Pistorius wurde mit 16 Jahren SPD-Mitglied. Nach seinem Abitur machte er eine Ausbildung zum Kaufmann im Gross- und Aussenhandel. Von 1980 bis 1981 leistete er Wehrdienst in der Bundeswehr. Ab 1981 studierte er Rechtswissenschaft an der Universität Osnabrück und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Privat erlitt Pistorius im August 2015 einen schweren Schicksalsschlag: Seine Frau Sabine Pistorius (†54), mit der er zwei Töchter hat, starb an Krebs. Ein Jahr später wurde publik, dass Pistorius eine Beziehung mit der Ex-Frau des früheren deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (78), Doris Schröder-Köpf (59), eingegangen war. Im Frühling 2022 trennten sich Schröder-Köpf und Pistorius «in Frieden und Freundschaft».
Pistorius wird am Donnerstag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (67) seine Ernennungsurkunde erhalten und im Bundestag seinen Amtseid leisten. (noo/SDA)