In der Ukraine haben Ermittler am Mittwoch bei Razzien in mehreren Korruptionsfällen unter anderem das Wohnhaus des einflussreichen Oligarchen Ihor Kolomojskyj (59) durchsucht. Nach Angaben eines hohen Behördenvertreters durchkämmten sie zudem die Wohnräume eines ehemaligen Ministers sowie Büros von Steuerbehörden in der Hauptstadt Kiew. Der im Zentrum der Ermittlungen stehende Oligarch Kolomojskyj stand früher dem heutigen Staatspräsidenten Wolodimir Selenski (45) sehr nahe.
Die Durchsuchungen fanden im Vorfeld eines wichtigen EU-Ukraine-Gipfeltreffens statt. Kiew scheint derzeit bemüht darum, seine wichtigsten westlichen Verbündeten davon zu überzeugen, dass die Regierung gegen systematische Korruption im Land vorgeht.
Der Chef von Selenskis Partei «Diener des Volkes», David Arachamia (43), schrieb in Onlinediensten, dass unter anderem die Häuser des einflussreichen Milliardärs Kolomojskyj und von Ex-Innenminister Arsen Awakow (59) durchsucht worden seien. Zudem sei die Leitung der Zollbehörde entlassen worden. Auch hohe Vertreter des Verteidigungsministeriums hätten Besuch von Ermittlern erhalten, teilte Arachamia mit.
Er steht auf der US-Sanktionsliste
Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte Bilder von der Hausdurchsuchung bei Kolomojskyj. In dem Fall soll es um Veruntreuung von 40 Milliarden ukrainischen Hrywnja (umgerechnet fast eine Milliarde Franken) gehen.
Kolomojskyj geniesst seit Jahren einen zweifelhaften Ruf. Er steht auf einer US-Sanktionsliste und darf nicht in die USA einreisen, da ihm Korruption und demokratiefeindliche Bestrebungen vorgeworfen werden. Der Milliardär war vor der russischen Invasion im Land einer der reichsten Männer der Ukraine, mit Beteiligungen in zahlreichen Wirtschaftsbereichen, unter anderem in der Medienbranche, der Luftfahrtindustrie und dem Energiesektor.
Kolomojskyj unterstützte den heutigen Präsidenten Selenski während dessen Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2019. Die beiden blieben eine Zeit lang eng befreundet, später ging Selenski aber auf Distanz zu Kolomojskyj.
«Kampagne, um dem inneren Feind einen Schlag zu versetzen»
Selenski selbst hatte am Dienstag weitere Schritte der Behörden im Kampf gegen Korruption versprochen. Es seien bereits «alle notwendigen Schritte unternommen worden», sagte Selenski in seiner allabendlichen Videoansprache. «Menschen in den Behörden, die die grundlegenden Anforderungen des Staates und der Gesellschaft nicht erfüllen, sollten ihre Posten nicht besetzen», sagte er.
Der Chef des Geheimdiensts SBU, Wassil Maljuk, bezeichnete die am Mittwoch ausgeführten Razzien als «Kampagne, um dem inneren Feind einen Schlag zu versetzen». Jenen, die es wagten, der Ukraine Schaden zuzufügen, würden «Handschellen angelegt», sagte Maljuk weiter.
Innenminister Arachamia erklärte nach den Razzien mit Blick auf den Kampf gegen die Korruption: «Das Land wird sich durch den Krieg verändern, und wenn jemand nicht bereit für Veränderungen ist, wird der Staat ihn dazu bringen, sich zu verändern.»
Immer wieder Korruptionsskandale
Infolge eines mutmasslichen Korruptionsskandals in der ukrainischen Armee waren vergangene Woche mehrere Vize-Minister, Gouverneure und hochrangige Beamte zurückgetreten oder entlassen worden. Den Ausschlag für die Entlassungswelle gab unter anderem der in Medienberichten vorgebrachte Vorwurf, das ukrainische Verteidigungsministerium habe für die Soldaten Lebensmittel zu deutlich überhöhten Preisen eingekauft.
Vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor fast einem Jahr war das Land regelmässig von Korruptionsskandalen erschüttert worden. Auf dem Korruptions-Index der Organisation Transparency International rangierte die Ukraine vor Beginn des Krieges auf Platz 122 von 180.
Die Bekämpfung der Korruption ist eine der wichtigsten Forderungen Brüssels für den von Kiew angestrebten Beitritt zur Europäischen Union. (AFP/jmh)