Entscheidend für den Kriegsverlauf oder nur ein symbolischer Erfolg?
Was die russische Eroberung von Awdijiwka bedeutet

Für die russische Armee ist die Einnahme der Stadt Awdijiwka der grösste Erfolg seit der Eroberung von Bachmut 2023. Wir erklären, wie wichtig die Ortschaft für die Russen ist.
Publiziert: 19.02.2024 um 12:54 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2024 um 14:53 Uhr
Ende Feuer in Awdijiwka: Die 3. Angriffsbrigade der ukrainischen Armee muss sich geschlagen geben.
Foto: Anadolu via Getty Images
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Guido FelderAusland-Redaktor

Für die ukrainischen Truppen sieht es an der Front zurzeit nicht gut aus. Nach monatelanger Gegenwehr mussten sie sich in Awdijiwka geschlagen geben und die im Osten des Landes gelegene Stadt am Samstag aufgeben. Der Generalstab in Kiew sprach am Sonntag von einer schwierigen operativen Lage an den Fronten im Osten und Süden der Ukraine. Insgesamt seien 56 Gefechte an verschiedenen Frontabschnitten registriert worden, berichtete die Militärführung auf ihrer Facebook-Seite.

Mit einer erstmals angewendeten Taktik im Ukraine-Krieg zwangen die Russen die Ukrainer zur Aufgabe.

Der neue ukrainische Kommandant Olexander Sirski (58) schreibt auf X: «Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigeren Linien in die Verteidigung zu gehen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen.»

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Die Schlacht um Awdijiwka dauerte rund vier Monate.
Foto: keystone-sda.ch

Laut dem Institute for the Study of War (ISW) ist der Erfolg der Russen vermutlich auf die Luftüberlegenheit zurückzuführen. Die Invasoren hätten offenbar vorübergehend die Luftangriffe verstärkt, um die Bodentruppen zu unterstützen – eine Taktik, welche die Russen im Ukraine-Krieg wohl zum ersten Mal angewendet hätten. Dabei seien auch Hunderte von Gleitbomben zum Einsatz gekommen. Gleichzeitig habe die ukrainische Armee mit einem Mangel an Munition und Problemen bei der Rekrutierung von Soldaten zu kämpfen.

Grösster Erfolg seit Bachmut

Die Industriestadt Awdijiwka spielt zwar eine Schlüsselrolle bei Moskaus Ziel, die beiden östlichen Donbas-Provinzen Donezk und Luhansk einzunehmen. Mykola Bielieskow vom Nationalen Institut für Stategische Studien, einer Denkfabrik in Kiew, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Einnahme der Stadt für die Logistik einen Vorteil bringe.

Allerdings handelt es sich nicht viel mehr als um einen symbolischen Erfolg. Es ist der grösste Sieg der Russen seit der Einnahme von Bachmut im Mai 2023. Die Einnahme dürfte den russischen Truppen moralischen Auftrieb geben und gleichzeitig die ukrainischen Soldaten demoralisieren.

Laut Bielieskow wird sie den Kriegsverlauf nicht entscheidend beeinflussen. Er glaubt, dass Moskau den Kampf um Awdijiwka intensiviert habe, um im Westen die Skepsis gegenüber Hilfslieferungen zu stärken.

Ukrainer haben sich verschanzt

Von der Stadt, die nur zehn Kilometer von der russisch besetzten Grossstadt Donezk entfernt liegt und die schon 2014 vorübergehend unter Kontrolle prorussischer Ukraine-Separatisten war, ist nicht mehr viel zu sehen. Laut der Organisation Centre for Information Resilience sind praktisch sämtliche Häuser zerstört oder beschädigt. Von den einst 33’000 Einwohnern harrten am Schluss noch ungefähr 1000 in den vielen Bunkern aus.

Bei Awdijiwka dürfte es allerdings Schluss sein für weitere russische Vorstösse in dieser Region. Das ISW schreibt, dass sich die Ukrainer westlich der Stadt in gut eingerichtete Verteidigungsstellungen zurückgezogen hätten. «Die Russen würden vermutlich erhebliche Verluste erleiden, wenn sie sich entschliessen würden, diese ukrainischen Stellungen auf offenem Feld frontal anzugreifen.»

Die Ukrainer haben Awdijiwka zudem noch nicht abgeschrieben. Sirski hat siegessicher angekündigt: «Wir werden zurückkehren.»

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