Endet damit der Krieg?
Das bedeutet die EU-Beitrittskandidatur für die Ukraine

Die Ukraine ist nun offiziell Kandidatin für einen EU-Beitritt. Russland reagiert überraschend gelassen, doch der ukrainische Weg in die EU ist trotzdem von Hürden geprägt, sind sich Experten sicher.
Publiziert: 17.06.2022 um 20:13 Uhr
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Die EU-Kommission um Präsidentin Ursula von der Leyen hat sich am Freitag dafür ausgesprochen, die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union zu ernennen.
Foto: IMAGO
Chiara Schlenz

Es ist ein historischer Tag für die Ukraine: Nur wenige Monate nach der Gesuchstellung hat sich die EU-Kommission am Freitag dafür ausgesprochen, die Ukraine und ihr Nachbarland Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur EU zu ernennen. Die Behörde legte damit die Grundlage für einen möglichen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) ist froh über diese Nachricht. «Das ist der erste Schritt zur Mitgliedschaft in der EU. Ich zähle auf positive Ergebnisse des EU-Gipfels kommende Woche», schreibt er auf Twitter.

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«Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben», sagte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (63) mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen das Land. Man wolle es ihnen ermöglichen, den europäischen Traum zu leben. Auch wenn die Nachricht auf den ersten Blick gut klingt, in der EU ist die Ukraine damit aber noch lange nicht.

«Totaler Bruch mit bisheriger Praxis»

Schweizer Experten betrachten die EU-Empfehlung kritisch, darunter auch der Politikwissenschaftler und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung, Laurent Goetschel (57). «Es ist ein klares Zeichen gegen Putin», sagt Goetschel zu Blick.

Überrascht ist er über die EU-Empfehlung nur zum Teil: «Inhaltlich kommt der Vorschlag zwar überraschend, politisch zeichnete sich ein solcher Schritt aber schon seit einiger Zeit ab.» Faktisch würde die Kandidatur nur wenig ändern, von einem tatsächlichen EU-Beitritt sei man noch weit entfernt.

Christa Tobler (61), Professorin für Europarecht an der Universität Basel, führt aus: «Es ist ein klarer Bruch mit der bisherigen Praxis.» Im Europarecht gibt es drei Kriterien, die ein Staat erfüllen muss, um in die EU aufgenommen zu werden, erklärt die Rechtswissenschaftlerin. Der Staat muss in Europa liegen, europäische Werte achten und sich ihnen verpflichten. Vor der Aufnahme steht ein längerer Vorbereitungsprozess.

Das sind die Bedingungen für einen EU-Beitritt

Für einen EU-Beitritt wurden 1993 drei Voraussetzungen, die sogenannten «Kopenhagener Kriterien», erlassen.

1. Das politische Kriterium: Der Kandidat muss institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten aufweisen.

2. Das wirtschaftliche Kriterium: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarkts standzuhalten, sind ebenfalls essenziell.

3. Das Acquis-Kriterium: Der Beitrittskandidat muss das gesamte gemeinschaftliche EU-Recht übernehmen, das heisst, alle Verpflichtungen und Zielen zu erfüllen.

Für einen EU-Beitritt wurden 1993 drei Voraussetzungen, die sogenannten «Kopenhagener Kriterien», erlassen.

1. Das politische Kriterium: Der Kandidat muss institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten aufweisen.

2. Das wirtschaftliche Kriterium: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarkts standzuhalten, sind ebenfalls essenziell.

3. Das Acquis-Kriterium: Der Beitrittskandidat muss das gesamte gemeinschaftliche EU-Recht übernehmen, das heisst, alle Verpflichtungen und Zielen zu erfüllen.

Meistens braucht es nur schon Zeit, damit ein Land den offiziellen Kandidatenstatus erhält, dem dann Beitrittsverhandlungen folgen. «Die Ukraine befindet sich momentan im Krieg - also eine denkbar schlechte rechtliche Ausgangslage für ein Beitrittsverfahren», so Tobler.

EU darf keine falschen Versprechen machen

Und genau hier liegt das Problem, erklärt Gilbert Casasus (66), Politikwissenschaftler an der Universität Fribourg. «Es gibt eben gewisse Regeln, die eingehalten werden müssen», betont er im Gespräch mit Blick. Genauso wie es drei Kriterien für den Beitritt gibt, gibt es laut Casasus auch drei Probleme: Die Beitrittskriterien werden nicht vollständig erfüllt, kein EU-Staat werde aktuell für die Ukraine auf Geld verzichten wollen. Und: Die EU kann es sich nicht leisten, ohne Vertragsänderungen einen neuen Staat aufzunehmen.

Da sich der Verbund seit dem Mauerfall vor allem auf die Ausweitung seines Gebiets und nicht auf die Vertiefung der Beziehungen zu bereits beigetretenen Staaten konzentriere, habe man nun ein Problem. «Stell dir vor, in deinem Haus mit fünf Schlafzimmern wohnen plötzlich 30 statt fünf Personen – das geht nicht lange gut», stellt er das Problem bildlich dar.

Während der Entscheid der EU eine dringend benötigte Ermunterung für die Ukraine darstelle, sei es aus Sicht der EU nicht optimal. Casasus zu Blick: «Eine vernünftige EU braucht auch vernünftige Entscheide.» Und er warnt: «Falsche Versprechungen in einer solchen Situation wären das Schlimmste, was der EU aktuell passieren könnte.»

Russland reagiert gelassen auf EU-Ankündigung

Und wie reagiert Russland auf das Ganze? Der Kreml hat sich zur EU-Perspektive der Ukraine zurückhaltend gezeigt. Es handle sich hier nicht um eine militärpolitische Ebene, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (54) am Freitag der Agentur Interfax zufolge.

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Trotzdem erfordere diese Entwicklung Russlands erhöhte Aufmerksamkeit, weil man über die «Stärkung der Verteidigungskomponente der Europäischen Union» Bescheid wisse, sagte Peskow. «Es finden verschiedene Transformationen statt, die wir natürlich sehr genau beobachten.» Moskau hatte der EU bereits in der Vergangenheit vorgeworfen, sich aus einem Wirtschaftsbündnis in «einen aggressiven militanten Akteur» verwandelt zu haben.

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