Droht wieder Bürgerkrieg?
Busse in Nordirland entführt und angezündet

In Nordirland verübten Unbekannte innerhalb einer Woche zwei Anschläge auf Busse. Die Attacken hängen wohl mit dem Nordirland-Protokoll zusammen. Die Situation ist angespannt.
Publiziert: 08.11.2021 um 15:45 Uhr
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Die Männer wollten offenbar auf den Ablauf der Frist der protestantischen-unionistischen Partei DUP hinweisen. Die Loyalisten befürchten, dass der Brexit und die im Austrittsvertrag festgelegten Handelsregeln eine innerbritische Grenze schaffen. Es kommt deshalb immer wieder zu Protesten.
Foto: Getty Images

Im Vorort Newtownabbey der nordirischen Hauptstadt Belfast ist am Sonntagabend ein Linienbus von vier Männern überfallen und anschliessend in Brand gesteckt worden.

Wie der Sender BBC berichtet, haben die Entführer die Fahrgäste zum Aussteigen gezwungen. Nachdem alle Insassen ausgestiegen waren, sei der rote Doppeldeckerbus auf offener Strasse angezündet worden. Die Feuerwehr konnte das Fahrzeug nicht mehr retten.

Es ist der zweite Vorfall dieser Art in einer Woche in Nordirland. Am vergangenen Montag hatten zwei bewaffnete und maskierte Männer einen Bus westlich von Belfast ebenfalls überfallen und angezündet.

Translink, der Betreiber der öffentlichen Buslinien, hat alle Bus- und Metro-Verbindungen bis Montag eingestellt. Der betroffene Fahrer sei schwer mitgenommen und werde von seinen Kollegen unterstützt, berichtet der «Belfast Telegraph».

Streit um Nordirland-Protokoll

Der Vorsitzende der Regierungspartei DUP, Jeffrey Donaldson (58), verurteilte die Tat auf Twitter. «Das ist sinnlos. Veränderungen erreicht man durch Politik – nicht durch das Abbrennen von Bussen.»

Die Motive der Brandstifter sind bislang unklar. Offenbar stehen die Attacken aber im Zusammenhang mit dem Brexit. Seit dem Ausstieg Grossbritanniens aus der EU ist ein Streit über Brexit-Sonderregeln für den britischen Landesteil – das sogenannte Nordirland-Protokoll – entbrannt. Die nordirische Infrastrukturministerin Nichola Mallon (42) sagte gegenüber der BBC, dass die Angreifer «etwas über das Protokoll gebrummt» hätten, während sie den Chauffeur mit der Waffe bedrohten.

Die Männer wollten offenbar auf den Ablauf der Frist der protestantisch-unionistischen Partei DUP hinweisen, schreibt der «Spiegel». Die DUP droht damit, aus der Einheitsregierung mit der katholisch-republikanischen Partei Sinn Féin auszusteigen, wenn es keine Änderungen im Nordirland-Protokoll geben wird.

Angst vor innerbritischer Grenze

Das Ziel des Protokolls war es eigentlich, eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland nach dem Brexit zu vermeiden. So hätten neue Konflikte in der alten Bürgerkriegsregion verhindert werden sollen. Dafür kam es aber zu einer Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest Grossbritanniens. Die Kontrollen müssen nun an den Häfen stattfinden, wenn Waren aus den anderen Teilen des Vereinigten Königreichs nach Nordirland kommen.

Die DUP fordert deshalb die Abschaffung des Protokolls. Die Loyalisten befürchten, dass der Brexit und die im Austrittsvertrag festgelegten Handelsregeln eine innerbritische Grenze schaffen.

Paramilitärs rekrutieren neue Mitglieder

Angesichts von Corona-Pandemie und Brexit warnt eine Friedensorganisation in Nordirland vor der Verschärfung des jahrzehntealten Konflikts in der früheren Bürgerkriegsregion. Paramilitärische Gruppen auf beiden Seiten erhielten derzeit grossen Zulauf, sagte der Chef des International Fund for Ireland (IFI), Paddy Harte, der Nachrichtenagentur PA am Samstag. Die unabhängige Organisation wurde 1986 gemeinsam von der britischen und der irischen Regierung gegründet, um Friedensbemühungen und Widergutmachungsprozesse in Nordirland zu fördern.

Sowohl die zumeist protestantischen Anhänger der Union mit Grossbritannien als auch die katholischen Befürworter einer Wiedervereinigung mit dem EU-Mitglied Irland würden in «alarmierendem» Ausmass neue Kräfte rekrutieren. Es sei «sehr, sehr wahrscheinlich», dass es zu neuer Gewalt komme.

«Der Brexit hat Fragen der Kultur und Identität sowie alte Wunden aufgeworfen, die weit in den Hintergrund getreten waren», so Harte. Corona habe dann Möglichkeiten zum Diskurs unterbunden. Zudem habe ein «Covid-Nationalismus» dazu geführt, dass Unterschiede in der Pandemiebekämpfung in Irland und Grossbritannien stärker unter die Lupe genommen worden seien.

Es kam zu tagelangen Ausschreitungen in Belfast

Die Streitfrage um die im Austrittsvertrag festgelegten Handelsregeln steht seit einiger Zeit im Raum. Während die Loyalisten eine innerbritische Grenze fürchten, fühlen sich auf der anderen Seite die Republikaner im Stich gelassen. Nur mit grossem Einsatz von Friedensstiftern und Sozialarbeitern seien im Frühjahr grössere Krawalle verhindert worden. Damals kam es tagelang zu Ausschreitungen vor allem in Belfast. Auch Linienbusse wurden angezündet. (man/SDA)

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