Bei neuen Krawallen in der nordirischen Hauptstadt Belfast ist am Mittwochabend ein Linienbus angegriffen und in Brand gesetzt worden. Die Polizei rief die Bevölkerung auf, mehrere Areale im Stadtgebiet zu meiden, in denen sich Menschen zusammengerottet hatten. Auf einem im Internet kursierenden Videos war zu sehen, wie der Doppeldeckerbus mit Brandsätzen beworfen wurde und später komplett ausbrannte. Berichten zufolge wurde auch ein Pressefotograf attackiert. Der Vorfall ereignete sich an einer Kreuzung zwischen einem protestantischen und einem katholischen Wohnviertel.
Der britische Premierminister Boris Johnson zeigte sich zutiefst besorgt von den Ausschreitungen. In einer Twitter-Nachricht verurteilte er insbesondere die Angriffe auf Beamte, den Fahrer des ausgebrannten Busses und einen Journalisten am Mittwochabend. «Diejenigen, die in Gewalt, Sachbeschädigung, Aufwiegelung der Jugend und Angriffen auf die Polizei verwickelt sind, müssen aufhören» schrieb er.
Mehr als 40 Polizisten verletzt
In der britischen Provinz Nordirland kommt es seit Tagen zu nächtlichen Krawallen, bei denen inzwischen mehr als 40 Polizisten verletzt wurden. Sie wurden mit Steinen, Brandsätzen und Feuerwerkskörpern beworfen. Angefangen hatte die Krawalle bereits am Osterwochenende. Nach Ansicht der Sicherheitsbehörden stecken dahinter teils militante protestantisch-loyalistische Gruppierungen, die auch im Drogenhandel tätig sind.
Vorgeblicher Anlass für die Ausschreitungen ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, hochrangige Politiker der katholisch-republikanischen Sinn-Fein-Partei nach der Teilnahme an der grossen Beerdigung eines ehemaligen IRA-Terroristen nicht wegen Verstössen gegen die Corona-Regeln zu belangen. Auch der Sonderstatus Nordirlands, wie er im Brexit-Abkommen festgelegt wurde, stösst auf Widerstand in Teilen des protestantischen Lagers.
Der britische Landesteil ist de facto Teil des EU-Handelsraums geblieben, um Warenkontrollen an der Grenze zum EU-Mitgliedsstaat Republik Irland zu verhindern. Stattdessen müssen nun Kontrollen an den Häfen stattfinden, wenn Waren aus den anderen Teilen des Vereinigten Königreichs nach Nordirland kommen.
Regierung will Sondersitzung
Nach den heftigen Ausschreitungen ist die Regierung in dem britischen Landesteil am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Politiker beider konfessioneller Lager in Nordirland am Donnerstag die Ausschreitungen scharf verurteilt. Auch das Regionalparlament trat zu Beratungen zusammen. «Zerstörung, Gewalt und die Androhung von Gewalt sind vollkommen inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen», hiess es in einer Erklärung. Nordirland wird von einer Einheitsregierung der jeweils grössten Parteien von protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite regiert.
Im Nordirland-Konflikt, der erst 1998 mit dem Karfreitagsabkommen endete, standen sich jahrzehntelang mehrheitlich protestantische Befürworter der Union mit Grossbritannien und überwiegend katholische Anhänger einer Vereinigung der beiden Teile Irlands gegenüber. Auch die Polizei und das britische Militär wurden in den Konflikt hineingezogen. Mehr als 3600 Menschen starben, fast 50'000 wurden verletzt. Noch immer ist die Gesellschaft tief gespalten. (SDA/bra)